Magyria 01 - Das Herz des Schattens
Bruder den Krug. Danach fiel er auf die Knie, neben Réka, und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
Kunun machte ein paar Schritte rückwärts, zum Tisch hin, wo er einen runden Deckel aufhob und das Gefäß damit sorgfältig verschloss.
»Tja, Mattim«, sagte Atschorek und klang nicht einmal schadenfroh dabei, »nun wird es doch nicht reichen. Nicht für alle. Du weißt, was das heißt.«
Der Prinz hob den Blick und sah Hanna an, nur ein kurzer, flüchtiger Blitzstrahl, bevor er sich wieder abwandte. Verzeih mir … Verzeih mir …
Darin lag zweierlei, unendliches Bedauern, aber immer noch ein Funke Hoffnung, eine Kraft, von der sie selbst nichts wusste. Sie konnte rein gar nichts fühlen. Er hatte das Blut verschüttet. Nicht alles. Für sie hatte er darauf verzichtet, alles, bis auf den letzten Tropfen, auf den Boden zu gießen. Kunun würde über den Fluss gehen, und niemand konnte ihn mehr aufhalten. Und wen kümmerte das jetzt noch.
»Was«, fragte Kunun mit gefährlich leiser Stimme, »soll ich jetzt mit dir machen, kleiner Bruder?«
»Ich beuge mich vor dir«, sagte Mattim. »Und bitte dich, mich anzuhören. Allein.«
»Seine Kniefälle sind nichts als gymnastische Übungen«, höhnte Atschorek. »Wir nehmen sie beide mit, gefesselt.«
Der Prinz des Lichts sah Hanna nicht an. Sie ihn dagegen schon. Wie er dort neben Réka kniete und zu Kunun aufblickte, geduckt wie ein wildes Tier, bereit zum Sprung, Blutspuren im goldenen Haar. Halb erwartete sie, dass er jeden Moment hochfuhr, Kunun an die Kehle. Aber Mattim rührte sich nicht, und als Atschorek Hanna die Treppe hinunterführte, wusste das Mädchen nicht mehr, was geschah und was geschehen würde. Sie fühlte nur die Hände
der Vampirin an ihrem Hals. Was war das da, ein Messer? Merkwürdig, dass sie dabei weder Angst noch Schmerz empfinden konnte, dass sie nichts mitnehmen konnte in die Dunkelheit, in die Atschorek sie geleitete, außer Mattims letztem Blick. Nur diesen Blick, das Einzige, was zu ihr durchdrang. Verzeih mir. Ich liebe dich, bitte, verzeih mir …
Hanna konnte nicht einmal weinen. Auch hatte sie keine Angst. Sie stand nur da und spürte ihren Körper wie etwas Seltsames, das nicht in diesen Traum hineingehörte, zitternd, mit pochendem Herzen. Er fühlte sich an wie etwas, das sich bleischwer um ihre Seele gelegt hatte und sie daran hinderte, dorthin zurückzukehren, wo sie sein wollte. Irgendwo an einem anderen Tag, fern von allem. Nur sie und Mattim. Nicht Kunun. Nicht Atschorek. Und nie, niemals Rékas kleine, weggeworfene Gestalt auf dem Teppich.
»Du hast dein Leben verwirkt«, sagte Kunun zu seinem Bruder. »Ebenso deinen Platz an meiner Seite. Und Hannas Leben. Hat sie dir nicht gesagt, was ich tun werde, wenn Réka nicht genügt?«
Mattim hielt den Blick aus, den Blick eines Lichtkönigs, fähig, alles zu verbrennen, was seinen Ansprüchen nicht gerecht wurde. »Réka konnte nicht genügen«, gab der Junge zurück. »Sie ist viel zu klein, sie konnte dir niemals genug Blut geben. Wir sind zu viele Schatten. Du brauchtest Hanna auf jeden Fall. Glaubst du, das wüsste ich nicht? Es war mir schon lange klar. Seit jenem Tag, als ich aus der Donau aufgetaucht bin. Dass sie beide sterben müssen, Hanna und Réka. Trotzdem habe ich nichts unternommen, um sie zu retten.« Wie bitter schmeckte die Wahrheit dieser Worte auf seiner Zunge. Selbst jetzt konnte er nicht lügen. Selbst jetzt war die Wahrheit wie ein tödlicher Trank, den er hinunterschlucken musste. Er hatte nicht versucht, Hanna aus der Stadt zu schicken. Er hätte Réka entführen und verschleppen können, gegen ihren Willen, um ihr Leben zu retten,
und hatte es nicht getan. Alle seine Gedanken hatten sich um Akink gedreht, viel zu lange, um zu begreifen, was er längst hätte begreifen müssen. »Als du Hanna hast fesseln lassen, um mich zu prüfen - war dir da nicht klar, dass ich keine andere Wahl hatte, als sie zu befreien? Als sie frei war, wusstest du da nicht, dass ich ihr helfen musste, Réka zu retten? Als wir hier ankamen, war es da nicht meine Aufgabe, hier hereinzuplatzen und ein klein wenig zu spät zu kommen? Wenn Hanna nicht fest an meine Liebe glaubt, wird die ihre nicht stark genug sein können, um sich zu opfern. Was nützt uns ihr Blut, wenn sie zweifelt?«
Kunun starrte mit grimmiger Miene auf ihn herab. Doch Mattim hatte kein Herz, das heftig pochen konnte. Keine verräterische Röte stieg ihm ins Gesicht. Kein Zittern durchlief ihn. Er
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