Magyria 01 - Das Herz des Schattens
goldenen Strähnen. Mirita wollte ihre Hände hineintauchen und ihn küssen, als die Sehnsucht nach ihm sie wieder mit aller Macht ergriff, aber ihre Angst, zu weit zu gehen und ihn zu vertreiben, wog mehr.
»Ich bin nicht schuld? Jeder, der alleine entkommt, ist schuldig. Ich habe mein Leben gerettet - wofür? Schon jetzt betrachten sie mich als einen Verräter. Mattim, der feige geflohen ist, der seine Gefährten im Stich gelassen hat. Das ist es doch, was alle hier glauben. Dass ich die beiden den Schatten überlassen habe. Dass sie sich für mich geopfert haben, für den Prinzen des Lichts, der zu nichts anderem taugt, als Enten die Füße zu fesseln.«
»Das ist nicht wahr! Du bist nicht feige. Ich weiß es. Glaub mir, ich weiß es. Du würdest dein Leben für Akink geben.« Sie ließ seine Hände los, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen. Ganz bestimmt war er nicht hergekommen, um sie weinen zu sehen. »Du würdest niemals irgendjemanden im Stich lassen. Da bin ich mir sicher.«
Mattim saß immer noch auf dem harten Stuhl. Auf einmal kam Mirita die schöne Stube, auf die ihre Mutter so stolz war, unerträglich schäbig vor. Er gehörte nicht hierhin. Er hätte in seinem eigenen Zimmer oben in der Burg sein sollen, auf seinem mit Samt bezogenen Sofa mit den
goldenen Troddeln. Dort hätte er sitzen müssen, die Füße hochgelegt, und Diener hin und her schicken sollen, wie es einem verwöhnten Prinzen zukam, der seine Leute im Stich ließ und sich lieber verkroch. Nie hatte Mirita sich so sehr gewünscht, dass er genau das tat: sich feige verkriechen.
»Und das Schlimmste«, flüsterte er, »weißt du, was das Schlimmste ist?«
»Nein«, erwiderte sie bang.
»Ich habe sie gesehen«, sagte er leise, »die Wölfe. Ich habe Alita an ihrem schwarzen Fell erkannt. Sie war so schön. Palig, grau wie der Nebel über dem Fluss … So wunderschön waren sie, so wild, und mir war, als würde ich sie zum ersten Mal sehen, so, wie sie wirklich sind, schöner, als ich es mir je hätte träumen lassen. Und ich habe sie beneidet.« Auch er hatte nun Tränen in den Augen. »Ich tue nur so, als würde ich um sie weinen. Ich klage mit allen anderen … In Wahrheit wünsche ich mir jedoch, es hätte mich getroffen, und ich wäre jetzt so wie sie und würde mit ihnen durch den Wald streifen.«
ZWÖLF
BUDAPEST, UNGARN
»Sie will nicht«, sagte Réka. »Ich hab sie angerufen, aber sobald sie gemerkt hat, dass ich es bin, hat sie aufgelegt. Du musst sie überreden.«
Hanna dachte an ihren Besuch bei Mária und hatte die Befürchtung, dass es nicht einfach werden würde. Doch Réka nickte ihr aufmunternd zu. Versuchen mussten sie es.
»Bitte. Wir brauchen jemanden, der auf Attila aufpasst.«
»Ich hab gesagt, dieses Haus betrete ich nie wieder!« Wenigstens beendete Mária das Telefonat nicht einfach und tat auch nicht so, als könnte sie Hannas Ungarisch nicht verstehen.
»Bitte. Wir brauchen jemanden, der bei ihm bleibt. Attila hat doch mit der ganzen Geschichte gar nichts zu tun. Er wird schon schlafen und gar nichts mitbekommen. Du brauchst nichts zu tun, nur bei ihm sein. Ich muss einfach sehen, ob es wirklich so ist.«
»Was?«
»Soll ich das hier am Telefon wiederholen?«
Mária schien am anderen Ende der Leitung nachzudenken.
»Sie geht nicht allein«, erklärte Hanna. »Und wir suchen einen Ort aus, wo nicht zu viele Leute sind. Alles schön übersichtlich. Es ist ein Test, verstehst du? Es ist wirklich wichtig.«
»Hm. Zwei Stunden. Und keine Minute länger.«
»Kein Problem. Zwei Stunden. Danke!«
Hanna grinste, und Réka reckte triumphierend die Faust in die Luft. »Du solltest Telefonwerbung machen.«
»Ich hab doch kaum was gesagt.«
»Sie braucht das Geld. Die Sache wird ganz schön teuer, das kann ich dir sagen.«
Hanna ließ sich von Rékas Freude anstecken und folgte ihr gehorsam ins Bad. Das Mädchen hatte vor, sie für jeden, der sie nur flüchtig kannte, unkenntlich zu machen; das war praktisch jeder außerhalb der Familie.
»Ein Glück, dass du dich sonst kaum schminkst. Dann können wir jetzt richtig dick auftragen.«
»Ich will nicht zu auffällig aussehen.«
»Ach was. Ich mach dich hübsch.«
Attila sollte eigentlich schon schlafen, aber ausgerechnet jetzt tappte er ins Badezimmer. Sein Blick sprach Bände.
»Na, wer ist das?«, fragte Réka stolz. »Kennst du die?«
»Hanna sieht total bescheuert aus«, tat der Junge seine ehrliche Meinung kund.
»Ach was. Du bist nur
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