Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Magyria 02 - Die Seele des Schattens

Titel: Magyria 02 - Die Seele des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
Gefühl, das Zittern in ihren Beinen, ihr Herz, schmerzhaft rasend, ihr Bewusstsein, das sich irgendwo verkriechen wollte. Morgen früh werdet ihr sterben. Du bist nicht mein Sohn, du bist niemand … Und dann wurden sie durch die dunkle Stadt gehetzt …
    Es war Kunun, der sie gebissen hatte. Kunun, der sie durch den schwarzen Qualm trug, während um sie her die Pfeile vom dunklen Himmel fielen. Kunun, der sie durch Gänge und Mauern führte, Kunun, der vor ihrer Zellentür kämpfte. Kunun, der die Lampe holte und ihnen Schatten gab, damit Mattim mit ihr durch die grüne Tür fliehen konnte. Kunun, auf den die Pfeile niedergingen …
    Sein dunkler Kuss, sein dunkler Blick. Gewissheit.
    Sie wollte diese Erinnerungen nehmen und einschließen und den Schlüssel wegwerfen. Aber genau das hatten sie durchlebt.
    »Im Kerker«, wisperte sie. »Ich sehe dich wieder vor mir. Deine Mutter und dein Vater, sie beide kennen keine Gnade. Und du …«
    »Ist es nicht schrecklich«, fragte Mattim leise, »dass ich auch das bin? Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas fühlen könnte, so einen Hass. Und nun … Hanna, ich bin mir nicht sicher, was ich hier beginne und warum. Solange ich daran glauben kann, dass ich das hier für Réka und für das Licht tue, geht es mir einigermaßen gut. Aber was, wenn ich nur denke, dass das meine Gründe sind? Wenn in Wirklichkeit der Schatten in mir wächst und sich ausbreitet und alle Rechtfertigungen nur vorgeschoben sind, weil die Dunkelheit längst über mich herrscht?«
    »Nein«, widersprach sie. »Nein, Mattim, nein, das ist nicht der Schatten. Du bist es. Für das Licht. Allein dafür.« Sie streckte die Hand aus und berührte sein Gesicht. »Denn ich sehe den Schmerz in deinen Augen und die Angst, ob du das Richtige tust … Du bist nicht wie Kunun. Kunun zweifelt nie.«
    Gewissheit. Kunun zweifelt nie …
    Ein langgezogenes Heulen erscholl ganz in ihrer Nähe.
    Mattim versuchte zu lächeln. »Schluss mit den Grübeleien, jetzt beginnt die Arbeit. Da ist schon die Antwort«, erklärte er, und im nächsten Moment führte der riesige schwarze Wolf das Rudel auf die Lichtung.
    »Bela, mein Bruder«, begrüßte Mattim ihn. »Heute spielen wir Jäger.«

SECHSUNDZWANZIG
    Akink, Magyria
    Die Wölfe versammelten sich. Immer mehr kamen zu ihnen auf die Lichtung, bis ihre Leiber um Mattim und Hanna wogten wie ein pelziges Meer. Felsengleich ragten die Köpfe und Rücken der großen Schattenwölfe heraus.
    Mattim zählte sie. Es waren noch nicht genug. Die kleinen Wölfe waren nützlich, schöne, treue Gefährten, klug und willig, auf sein Kommando zu reagieren, als wären sie Hunde, die er seit ihrer Welpenzeit aufgezogen hatte. Mit einigen verband ihn eine noch tiefere Freundschaft – Alita und Palig, Derin und andere von der Nachtwache. Es war, als wären sie wieder gemeinsam im Dienst. Nur seinen Freunden vertraute er das Kostbarste an, was er mitgebracht hatte.
    »Achtet auf mein Mädchen«, befahl er ihnen. »Hanna?« Er drehte sich zu ihr um. »Ich hoffe, es ist dir recht, dass die drei hier auf dich aufpassen? Das ist Alita. Sie hatte früher das größte Mundwerk in der ganzen Tagpatrouille und ist jetzt erfreulich still.« Er lachte, als die Wölfin ihn verärgert anknurrte. »Und das ist Palig, der gerne in Käfige hineinfliegt. Ach, Derin, mein Freund. Du weißt, ich wollte nicht, dass es geschah, nicht wahr? Ich konnte Goran nicht davon abhalten.«
    Hanna grüßte die Wölfe höflich, die Mattim zu ihren Leibwächtern erkoren hatte. Jetzt war keine Zeit mehr zum Händchenhalten. Der Prinz sandte einen Großteil des Rudels aus, überallhin in den Wald, um festzustellen, wie viele Patrouillen unterwegs waren.
    »Kein Mensch, der sich auf dieser Seite des Flusses befindet, darf über die Brücke zurück«, sagte er. »Wir brauchen jeden einzelnen Wächter.«
    Und noch mehr Schattenwölfe.
    Wieder legte er den Kopf in den Nacken, um zu rufen, und von Ferne antwortete ihm ein weiteres Rudel.
    Wenn ihn das Gefühl überkam, dass er sich in der Menge auflöste, dass Pelz und Krallen mit seiner Haut verschmolzen, suchte er Hannas Blick. Sie hatte sich auf einen Baumstamm gesetzt, Palig zu ihren Füßen, während die älteren Wölfe, Derin und Alita, zu beiden Seiten wachten. Aber Hannas Aufmerksamkeit gehörte ihm, so als würde sie spüren, dass allein ihre Gegenwart ihn davor schützte, in diesem Meer aus Wolfskörpern unterzugehen. Ihr klarer Blick war wie eine Sicherheitsleine, die es

Weitere Kostenlose Bücher