Magyria 02 - Die Seele des Schattens
knickten unter ihm weg.
»Sie warten auf dich.« Hanna half ihm hoch. »Hast du Schmerzen? Brauchst du Blut?«
»Ich will kein Blut!« Keuchend lehnte er sich gegen sie. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Seine Züge waren verzerrt von einer Qual, die er ihr nicht richtig beschreiben konnte. Waren es Schmerzen? War es die Tatsache, dass er die gesamte Patrouille in den Dienst der Schatten gezwungen und die Brücke erobert hatte? Es kam ihr vor, als läge er im Sterben, dabei war er doch unsterblich. Sein Körper hätte alle Unpässlichkeiten als Einbildung abweisen können.
»Es ist, als wäre ich Akink«, flüsterte er. »Wenn ich es zerstöre, vernichte ich mich selbst.«
»Dann tun wir es nicht!«, rief sie aus. »Mattim, dann lieber nicht!«
»Wir haben es bereits getan«, sagte er. »Ich kann nichts mehr rückgängig machen. Akink wird fallen. Und ich muss auf die verdammte Brücke, um die Geisel in Empfang zu nehmen.« Er wankte auf die Zeltöffnung zu und brach auf der Schwelle zusammen.
»Mattim!« Sie drehte ihn auf den Rücken. »Mattim!«
Er rührte sich nicht. Sie hatte keine Ahnung, wie sie feststellen sollte, woran er litt. Er atmete nicht, nach dem Puls zu fühlen hatte natürlich keinen Zweck. Starb er jetzt, hier vor ihren Augen?
»Mattim?« Seine Haut war nicht kühl, sondern brannte wie im Fieber. Hannas erster Impuls war, um Hilfe zu rufen, aber sie biss sich rechtzeitig auf die Lippen. Es gab keine Ärzte für unsterbliche Schatten. Was auch immer ihn befallen hatte, weder sie noch jemand anders konnte etwas ausrichten.
Draußen warteten zwei Heere auf sein Erscheinen.
Niemand durfte merken, was mit ihm los war. Sein ganzer Plan beruhte darauf, dass die Schatten ihm bedingungslos gehorchten. Die Akinker würden ihre Geiseln nicht freigeben, wenn sie befürchten mussten, dass er sein eigenes Heer nicht im Griff hatte und sein Versprechen nicht einhalten konnte. Sobald er auch nur die geringste Schwäche zeigte, würden die Vampire in Akink einfallen.
»Ich werde gehen.« Hanna drückte ihm einen Kuss auf die heiße Stirn. »Mach dir keine Sorgen.« Sie wusste nicht, ob er sie hörte. »Ich gehe an deiner Stelle.« Sie wollte weinen, aber dazu war keine Zeit. Sie musste handeln. Jetzt.
Sie nahm all ihren Mut zusammen, bückte sich und trat aus dem Zelt.
Die drei Wölfe scharten sich um sie, einer winselte fragend. Natürlich hatten sie längst gemerkt, dass etwas nicht stimmte. »Einer von euch bleibt bei ihm«, ordnete sie an. »Du, Derin. Palig, Alita, ihr kommt mit mir.«
Von den beiden Wölfen flankiert trat sie auf die Schatten zu, ihre Augen suchten Solta, den Anführer.
»Kommt er nicht endlich?« Der große Schatten eilte ihr entgegen. »Wir müssen weitermachen.«
»Ich spreche für ihn.«
»Du? Ich will ja nicht unhöflich sein …«
»Spricht die Königin nicht für ganz Akink?« Hanna reckte ihr Kinn ein wenig höher. Sie versuchte, arrogant auszusehen. Vielleicht reichte es, um wenigstens selbstbewusst zu wirken.
»Du könntest für ihn sprechen, wenn du seine Lichtprinzessin wärst. Aber …«
»Das bin ich«, sagte Hanna entschieden. Sobald sie es ausgesprochen hatte, wusste sie, dass es stimmte. Wenn er noch Lichtprinz von Akink gewesen wäre … doch war er das nicht? Trotz allem? »Das bin ich«, wiederholte sie, ein ganzes Stück sicherer. »Ich gehe dorthin und spreche mit der Unterhändlerin. Mir ist klar, dass ich ihnen irgendeinen Beweis liefern muss, das mein Wort so viel gilt wie seines.«
»Einen Beweis?«
»Ich hab da schon eine vage Idee. Ich erzähle es dir auf dem Weg.«
Solta fragte nicht, warum Mattim nicht selbst kam. Die Schatten musterten sie irritiert, aber keiner erhob Einspruch. Vielleicht glaubten sie, dass er irgendetwas besonders Dunkles ausheckte, während die letzten Verhandlungen liefen. Bestimmt erwartete niemand, dass er reglos wie ein Toter im Zelt lag und innerlich verbrannte.
NEUNUNDZWANZIG
Akink, Magyria
Die Königin stand hinter den Soldaten. Sie beobachtete die verwandelten Flusshüter, die die Brücke besetzt hielten. Wölfe waren keine zu sehen. Das war gut. Wahrscheinlich hatte Mattim sie längst fortgeschickt. Bange wartete sie auf ihren Jungen. Auf seine anmutigen Schritte, auf den Anblick seines golden glänzenden Haares. Wie hatte sie es nur je fertiggebracht, seinem Tod zuzustimmen! Doch zwischen den Reihen der Schatten erschien eine Frau, eine Fremde. Nein, sie kannte sie. Das Mädchen mit dem langen
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