Magyria 02 - Die Seele des Schattens
auszuprobieren? Du weißt nichts, Mädchen, gar nichts.«
»Nicht einmal für das Licht?«, fragte sie leise.
»Wenn die Dinge, die man für das Licht tut, böse und falsch sind, was wären sie dann noch wert?« Der König legte die Hand auf seine Brust, dort, wo sein Herz schlug. »Hier wohnt das Licht. Um es weiterzugeben, muss es von Herz zu Herz springen. Es kommt nicht darauf an, wie viel Licht vorhanden ist. Selbst wenn es ein Meer voll Licht wäre – ich könnte es nur über mein Herz weitergeben, nicht über … nun ja, andere Körperteile.«
Mirita wandte sich verlegen ab.
»Also lass meine Königin zufrieden.« Der König blickte wieder hinaus auf das verdunkelte Land zu seinen Füßen. »Wenn wir untergehen, dann gehen wir eben unter. Stolz und ungebrochen.«
Sie wollte ihm die Hand auf den Arm legen und etwas Tröstendes sagen, denn seine Stimme klang weder stolz noch ungebrochen, sondern unsäglich traurig. Aber sie war nicht die richtige Person, um ihn aufzumuntern. Sie nickte. »Ja«, sagte sie nur und ging.
»Du machst ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter«, meinte Piet, während sie durch den Wald marschierten. Obwohl es Tag war, trug jeder eine Fackel. Hauptmann Solta hatte diese neue Anweisung ausgegeben und dabei so getan, als seien sie damit vor jedweder Überraschung geschützt. Dabei wussten sie es alle besser.
»Drei Tage?«, fragte Mirita. »Zehn, mindestens. Wie hundert Tage Regenwetter. Ich fürchte, es wird überhaupt nicht mehr aufhören zu regnen.«
Das nasse, klamme Wetter drückte ihre Laune zusätzlich. Die Fackeln in ihren Händen glühten tapfer gegen den Nieselregen an, aber ihre Kleider und Schuhe waren nach dem stundenlangen Aufenthalt im Freien mehr als durchweicht. Sie fror bis auf die Knochen. Dieser Frühling fühlte sich nicht an wie ein Frühling, sondern wie ein besonders schlimmer Herbst.
»Dabei ist alles so schön«, schwärmte ihr Lieblingskamerad. »Schon lange keine Angriffe mehr. Die Vöglein singen, und die Rehe schweben über die taufrischen Auen.«
Mirita musste gegen ihren Willen grinsen. »Geht es dir noch gut?«
»Immer«, versicherte Piet. »Wenn du bei mir bist, könnte es nicht besser sein. Allerdings, da fällt mir ein … Sollten wir nicht langsam das Aufgebot bestellen, was meinst du?«
»Piet, lass das doch endlich!«
»Aber so kommen wir nicht weiter, meine Holde.«
»Wer sagt, dass ich weiterkommen will? Ich liebe dich nicht.«
Er griff sich mit der freien Hand ans Herz. »Autsch. Das hat wehgetan.«
Sie erinnerte sich daran, wie der König die gleiche Geste ausgeführt hatte. Wie viel Licht in meinem Herzen auch sein mag …
Und wenn das Licht nicht größer war als ein Samenkorn, das in der Dunkelheit der Erde schlummerte … wie ein Keim, der auf seine Stunde wartete? Würde auch das reichen, ein einziger Funke, entflammt an einem großen, liebenden Herzen?
»Was ist?«, fragte Piet. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen. Keinen Schatten, hoffe ich?«
»Nein.« Aber genau das war es, was sie gesehen hatte. Mattims Gesicht, diese grauen Augen, in denen sie sich jedes Mal verlor … Was, wenn noch ein bisschen Licht in ihm wohnte, nur noch ein winziger Rest von dem, was er gewesen war – was, wenn das reichte?
Konnte ein Schatten ein Lichtkind zeugen?
Ihr wurde heiß und kalt. Sie war Mattims Herzensgefährtin, seine Seelengefährtin. Wusste sie das nicht schon lange? War das nicht die Erklärung dafür, warum es ihr einfach nicht gelang, den Prinzen zu vergessen, warum sie nicht einmal in Erwägung zog, auf Piets Werben einzugehen? Warum ihre Liebe zu Mattim nicht sterben wollte – weil, wie König Farank gesagt hatte, nicht einmal der Tod wahre Gefährten voneinander trennen konnte?
»Zieh nicht so ein Gesicht«, bat Piet. »Sonst habe ich das Gefühl, dass sich gleich von allen Seiten Feinde auf uns stürzen. Ein übles Gefühl, wenn du mich fragst.«
»Woran erkennt man wahre Liebe?«, fragte Mirita.
»Vielleicht daran, dass einem ganz warm ist, obwohl der Regen genauso unmenschlich grausam ist wie deine Worte? Vielleicht daran, dass man singen möchte, auch wenn man weiß, dass die Kameraden einen beim ersten falschen Ton erschießen werden oder spätestens beim hundertsten?«
»Das reicht nicht«, sagte sie leise. »Was, wenn einen diese Liebe nicht glücklich macht, sondern so unglücklich, dass man sterben möchte?«
»Manchmal möchte ich sterben«, sagte Piet ungewohnt ernst. »Aber dann würde
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