Magyria 02 - Die Seele des Schattens
jetzt.
»Ich wünschte, ich dürfte mitkommen«, sagte ihre Mutter. »Wenn ich nur irgendetwas tun könnte …«
»Es wird schon alles gutgehen.«
Aber als sie sich umarmten, merkte das Mädchen, das es selbst zitterte. »Ich bereue nichts.« Das war das Einzige, das ihr die Kraft gab, aufrecht zu stehen. »Das werde ich ihnen sagen, wenn sie es hören wollen. Es gibt nichts, das ich zu bereuen hätte.«
Vor der Tür warteten vier Wächter. Ihre Mienen verrieten kein Bedauern, dabei waren zwei von ihnen noch vor kurzem ihre Kameraden bei der Truppe der Flusshüter gewesen. Gemeinsam hatten sie das Waldufer des Donua bewacht, Seite an Seite gegen die Schatten gekämpft … und jetzt schienen sie Mirita nicht einmal zu kennen.
Der Weg zur Burg kam ihr ungewohnt lang vor. Als sie sich dem Marktplatz näherten, befürchtete sie, man würde sie vielleicht gleich zu den unterirdischen Gewölben bringen – einer der Zugänge befand sich hier –, aber die vier eskortierten sie bis zum Hauptportal, wo sie Piet begegnete.
»Auch schon da, mein Schatz?«, fragte er munter, obwohl er ebenfalls in Begleitung erschienen war. »Ich habe mich schon gefragt, wann wir unsere Belohnung abholen dürfen.«
Mirita verdrehte nur die Augen, während sie von mittlerweile acht Wachen flankiert durch den Burghof schritten.
»Eine wahrhaft königliche Belohnung«, meinte Piet. »Das wird es doch sein, oder? Sie werden uns die Helden des Lichts nennen. Oder die Ritter des Lichts, wie findest du das? Fällt dir vielleicht noch etwas Besseres ein?«
»Nein«, entgegnete Mirita schroff, »mir fällt nichts ein.«
Die Prinzessin des Lichts. Das war der Titel, den die Königin ihr versprochen hatte. Mattims Gefährtin. Wie lange war das her! Ein ganzes Leben, so schien es ihr. In einer Zeit, in der es noch Hoffnung gegeben hatte. Damals war er ein anderer gewesen und sie eine andere. Nicht diese traurige, düstere Mirita, die sie jetzt war. Nein, nicht die.
»Lächle noch ein einziges Mal für mich«, flüsterte Piet. »Lass mich das Strahlen deiner blauen Augen sehen.«
Aber da war nichts mehr, das hätte strahlen können.
Die Eskorte geleitete sie durch den Haupteingang in den großen Saal. Hier war die junge Bogenschützin schon einmal gewesen, als sie sich mit Mattim zusammen die Standpauke des Königs hatte anhören müssen. Fast war es wie damals. Farank saß auf dem Thron, aber diesmal sah er alt und krank und müde aus. Er trug keinen Verband, doch es bereitete ihm sichtlich Mühe, aufrecht zu sitzen. Er stützte das Kinn auf und bewegte sich so wenig wie möglich; man sah, dass er Schmerzen hatte. Neben ihm wirkte Elira wie eine mächtige Rachegöttin. Sie war schön wie nie zuvor. Der Zorn verlieh ihr eine Stärke, die ihr Gesicht und ihre Gestalt verwandelten.
»Da seid ihr ja.« Die Stimme der Königin war voller Kraft und Energie. »Mirita. Piet. Ich hoffe, einer von euch kann mir berichten, was an jenem Tag im Wald geschehen ist.«
Sie wechselten einen Blick, dann begann Piet mit der Schilderung der Ereignisse. Er wollte gerade beschreiben, wie der Angriff sich abgespielt hatte, als Elira ihn schon unterbrach.
»Das weiß ich doch längst«, winkte sie ab. »Mich interessiert, was euch bewogen hat, so zu handeln, wie ihr es getan habt. Was geht in den Köpfen von Menschen vor, die ihre einzige Waffe, das Einzige, was sie retten könnte, ergreifen und wegbringen?«
»Mit Verlaub, Eure Majestät«, wandte Mirita ein, »aber es gibt keine Waffe gegen die Schatten. Nur das Feuer. Die Fackeln waren das Einzige, was wir zum Kämpfen benutzen konnten. Wenn Ihr das Licht meint – es hätte uns nichts genützt. Die Schatten waren dagegen gewappnet. So wie sie es seit langem sind. Sie hätten den König zu einem der Ihren gemacht. Wir hatten keine Wahl, als zu handeln, wie wir es getan haben.«
Farank hob den Kopf. »Wer hat mich niedergeschlagen?«, wollte er wissen.
»Ich«, behauptete Piet entschieden.
»Du? Du hast dich über alle Befehle hinweggesetzt und eigenmächtig beschlossen, dass du das Recht dazu hast, die Hand gegen deinen König zu erheben?«
»Äh, ja.« Piets Stimme zitterte nur ein wenig.
»Was hast du gefühlt dabei?«
»Es tat mir sehr leid«, versuchte Piet zu erklären. »Ich wollte Euch so wenig Schmerz wie möglich bereiten. Ich musste genau abwägen, wie ich Euch treffe, denn ich wollte Euch keinesfalls umbringen. Ich wollte, das heißt, ich musste ganz genau …«
»Oh ja«, murmelte Farank.
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