Magyria 02 - Die Seele des Schattens
auch gleich tun. »Und was heißt das?«
»Zwei Zeichen, also zwei Wörter. Rate mal.«
Sie seufzte. »Das ist unfair. Ich muss auch noch Ungarisch pauken. Was soll ich denn noch alles lernen?«
»Du bist sehr begabt, du schaffst das schon.«
»Das«, sie malte mit dem Finger die Einkerbungen nach, »ist dein Name. Das hast du mir schon mal gezeigt. Und hier – ja, was könnte da stehen? ›Mattim war hier‹ vielleicht? Das schreiben sie bei uns immer überall hin.«
Er schüttelte den Kopf.
»Attila! Lass den Hasen los!« Sie sprang auf. Der Junge hatte das Tier durch den Zaun hindurch am Nackenfell gepackt und versuchte es näher heranzuziehen. »Lass ihn los! Du tust ihm weh.«
»Man macht das so.«
»Kann sein, aber bestimmt zieht man sie nicht am Fell durch das Gitter.«
Sie war nervös. Wahrscheinlich spürte Attila das und versuchte deshalb, die Aufmerksamkeit noch stärker als sonst auf sich zu ziehen. Heute wollte sie Mattim endlich sagen, was ihr solchen Kummer bereitete, aber sie fürchtete sich davor. Vor seiner Reaktion. Davor, was er tun könnte, was sie in ihm damit auslöste.
Sie hatte gedacht, sie wäre stark genug, um allein damit fertig zu werden, aber das war sie leider nicht. Mattim musste es wissen.
»Was heißt es denn nun?«, fragte sie, nachdem es ihr gelungen war, Attila dazu zu bewegen, das erschrockene Kaninchen wieder loszulassen.
»Mattim und Hanna«, sagte er. »Was sonst?«
»Es gibt in eurer Schrift eine Rune für meinen Namen? Oder hast du sie gerade erfunden?«
»Hübsches Mädchen mit langen braunen Haaren.«
»Ihr habt eine Rune für ›hübsches Mädchen mit langen braunen Haaren‹?«, fragte Hanna ungläubig.
»Ich habe doch gesagt, Runen sind viel praktischer als Buchstaben.«
Jetzt hätten sie lachen sollen, wie immer, wenn die Übereinstimmung zwischen ihnen vollkommen war. Aber sie sah Mattim über den dunklen Haarschopf des Jungen hinweg an und bemerkte den Ernst in seinen grauen Augen. Auf seinem blonden Haar glitzerte die Frühjahrssonne.
»Der Preis ist zu hoch«, sagte er leise. »Der Preis für die Sonne ist zu hoch, wenn ich dir dafür wehtun muss.«
Hier auf der Margareteninsel die schönen Apriltage zu genießen, den Frühling erwachen zu hören – wie konnte es zu viel sein, was sie dafür bezahlt hatte?
»Wollen wir nach drüben, zu den Ruinen?«, fragte Mattim Attila in einem bemüht lockeren Tonfall.
Eine Weile ging der Kleine zwischen ihnen, dann hielt er es nicht mehr aus und stürmte voran. Er liebte es, in den Ruinen zu spielen, die Hanna dagegen immer mit einer gewissen Ehrfurcht erfüllten.
Sie öffnete den Mund und legte sich die Worte zurecht. »Mattim, ich …«
Er unterbrach sie. »Kunun will, dass ich zurück in sein Haus komme. Am Baross tér.«
»Was heißt das, er will es? Er kann dir doch nichts befehlen.«
Mattim zögerte. »Hanna, er hat recht. Ich kann so nicht weitermachen.« Er betrachtete sie, Schatten über den Augen. »Man sieht, dass ein Vampir von dir lebt«, sagte er leise. »Ich wollte es nicht wahrhaben, aber ich muss mich dem stellen. Du bist so bleich und ausgezehrt, Hanna, dass es mich schmerzt. Dunkle Ringe unter den Augen. Die Wunden unter dem Tuch da – sie haben keine Zeit zum Heilen.«
»Ach«, meinte sie leichthin, sie versuchte zu lachen, »es ist, als hätte ich Flöhe, nicht? Das ist nicht wirklich schlimm. Mir fehlen immer höchstens ein paar Minuten. Allerhöchstens mal eine halbe Stunde. Und die hole ich mir zurück, wie du weißt.« Sie zögerte. »Was willst du denn sonst tun? In der Finsternis leben?«
Auf einmal begriff sie, was er hier tat, worum es wirklich ging. Es war ein Abschied. Er würde nicht wieder zu ihr kommen. Er hatte sich dazu entschieden, sie nicht mehr zu beißen. Stattdessen ging er zu Kunun.
»Nein! Nein, Mattim. In seiner Nähe bist du in Gefahr!«
»Er hat recht«, sagte Mattim leise. »Ich wollte es nicht erkennen, aber man muss dich nur anschauen, um zu wissen, dass er recht hat.«
»Nein!«, rief sie verzweifelt aus. »Nein, Mattim. Es ist mein Leben. Ich kann damit tun, was ich will.«
»Schau dich doch an!«, hielt er dagegen. »Was meinst du, wie es mir geht, wenn ich dich ansehe und weiß, dass ich dafür verantwortlich bin? Du musst dich erholen.«
»Aber wenn du bei Kunun bist, werde ich mich die ganze Zeit sorgen, was er von dir will. Was er aus dir macht …«
Mattim blieb stehen und nahm ihre Hände in seine. »Wie«, sagte er, »könnte er aus
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