Magyria 02 - Die Seele des Schattens
meinem Herzen etwas Dunkles machen, wenn ich es nicht zulasse?«
War nicht jetzt der richtige Moment, es ihm zu sagen? Dass sie das Gefühl hatte, auch ihr Herz sei dunkel geworden. Dass sich das Versprechen, das sie Kunun gegeben hatte, wie etwas Dunkles um sie gelegt hatte, als würde eine unsichtbare Spinne einen Faden um sie weben. Sehr fein, kaum sichtbar, aber ein Grauschleier nach dem anderen ergab irgendwann eine undurchdringliche Schicht aus klebriger Finsternis.
»Vielleicht wird es dir nicht schlimm vorkommen, was er von dir verlangt«, sagte sie. »Trotzdem wird es das sein. Und mit jedem Gefallen, den du ihm tust, wirst du ihm ähnlicher.«
Mattim lachte, aber er klang nicht froh. »Vertrau mir«, bat er. »Wenn du schon aufhörst, an mich zu glauben, wie soll ich es dann können?«
Attila blieb auf dem Weg stehen, schaute die beiden Fremden an, die dort standen, und kehrte schutzsuchend zu Hanna und Mattim zurück. Er klammerte sich an den jungen Mann.
Mattim löste sanft und doch entschieden Attilas Finger von seinem Arm.
»Geh nicht zu ihnen«, bat Hanna. »Geh nicht. Bitte!«
»Ich muss«, sagte er nur.
Mit unbewegten Gesichtern warteten Atschorek und Kunun auf ihn. Sie taten, als wären Hanna und das Kind überhaupt nicht da. Als Mattim sich zu ihnen stellte, nahmen sie ihn in ihre Mitte und gingen mit ihm davon. Es sah aus, als würden sie einen Verbrecher abführen, der auch ohne Handschellen nicht fliehen würde.
SIEBEN
Budapest, Ungarn
»Na, komm schon.« Kunun winkte ihm ungeduldig.
Mit einem unguten Gefühl stieg Mattim in den Fahrstuhl. Er sah zu, wie sein Bruder die Tasten drückte, den Code, damit der Aufzug nach unten fuhr. 1502. Nein, er hatte ihn nicht geändert. Auch im Keller sah es im gelblichen Schein der elektrischen Lampe aus wie noch vor einigen Wochen, als sich hier die Pforte nach Magyria befunden hatte. Auf der Schwelle zwischen den beiden Kellerräumen hatte man direkt in die Welt hinüberwechseln können, aus der die Schatten stammten. Ihre Heimat. Mattim fühlte das Unbehagen stärker werden. Hier hatte er zusammen mit seinem Vater den Durchgang geschlossen, an dieser Stelle hatten sie ihre Hände aufeinandergelegt und die Macht des Lichts gespürt … Warum brachte Kunun ihn her? Um ihm seine eigene Macht zu demonstrieren, mit der er sich die Rückkehr nach Budapest erzwungen hatte?
Er hob den Blick und merkte, dass Kunun ihn beobachtete, dass ein feines Lächeln um die Lippen des älteren Vampirs spielte.
»Du fragst dich, wie wir auf die andere Seite kommen sollen, stimmt’s?«
Leugnen war zwecklos. »In der Tat, das frage ich mich.«
»Während es für mich, ehrlich gesagt, immer noch ein Rätsel ist, wie es dir gelungen ist, die Pforte zu schließen«, gab Kunun gut gelaunt zu. »Deine Freude darüber muss unendlich groß gewesen sein … und alles umsonst.«
Mattim wusste, dass sein eigenes Lächeln kläglich geriet, aber er hielt den Hohn aus. Gleich würde er es erfahren. Sein Bruder konnte nicht anders – er würde sagen, wie er es bewerkstelligt hatte. Kunun musste seinen Triumph auskosten, bestimmt wartete er schon seit Wochen darauf, ihm endlich seine Überlegenheit vorzuführen.
»Komm.« Der Schattenprinz fasste seinen jüngeren Bruder am Arm und zog ihn über die Schwelle in den anderen Raum. Nichts passierte. Sie standen nicht in der Höhle in Magyria, nur im Keller nebenan. Im Dämmerlicht war es nicht so gut zu erkennen, aber anscheinend waren die Regale etwas umgeräumt worden. Mattim fiel auf, dass jemand den Käfig an die Wand geschoben hatte.
»Den hier nehmen wir mit«, sagte Kunun, in der Stimme ein leichtes Zögern.
»Für Bela?«, fragte Mattim. »Was hast du vor?« Wenn sogar Kunun unsicher wurde, war das kein gutes Zeichen. Er dachte daran, wie Atschorek sich aufgeregt hatte. Damals, als wir Runia … Keiner hatte die Sätze, die mit »Runia« anfingen, je zu Ende geführt, keiner wollte ihm verraten, was mit seiner unbekannten Schwester passiert war.
»Das erkläre ich dir später. Pack mit an.«
Die Eisenstäbe fühlten sich eisig kalt an, aber vielleicht war es auch nur sein inneres Widerstreben, das ihn zurückzucken ließ. »Erklär es mir jetzt.«
»So läuft es nicht, Mattim, das weißt du.«
Gehorsam, natürlich. Blinder Gehorsam, darunter gab es nichts. Aber Kunun brauchte ihn, das fühlte Mattim. Er hatte für diese Aufgabe keinen seiner bewährten Vampire nehmen wollen, sondern seinen aufmüpfigen,
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