Magyria 02 - Die Seele des Schattens
finden.
»Ich bin kein Schatten.« Hanna blickte an ihr vorbei zu den Wächtern. »Du wirst keine Wolfsspuren an mir entdecken.« Aber gerade als sie sagen wollte: Du kannst dir jeden Zentimeter Haut ansehen, ich bin’s nicht , fiel ihr ein, dass sie gezeichnet war. Verdammt.
» Keine Wolfsbisse«, wiederholte sie. »Das hier war etwas anderes.« Sie schob die Ärmel hoch, nahm das Tuch von ihrem Hals und zeigte Mirita die Wunden, die Mattim ihr zugefügt hatte. »Nein, geh nicht weg! Sieht das nach Wolf aus?«
»Vampire«, flüsterte Mirita entsetzt. »Blutsauger.«
Mattim. Geliebter, über alles geliebter Mattim.
»Ja, aber davon wird man nicht zum Schatten. Das wisst ihr hier doch, oder?«
»Du müsstest ein Schatten sein! Oder ein Wolf!« Mirita war bis zum Gitter vor ihr zurückgewichen.
»Bei uns nicht. Ich nicht.« Wie sollte Hanna erklären, woher sie kam und dass es dort ganz und gar unmöglich war, aus einem Menschen einen Wolf zu machen? »Ich lebe weiter, ich habe mich in gar nichts verwandelt. Mein Herz! Es schlägt. Ist das nicht der beste Beweis? Willst du fühlen, wie mein Herz schlägt?« Sie zwang sich, das möglichst unerschrocken zu sagen.
»Mirita, komm sofort da raus!«, forderte eine der Wächterinnen das blonde Mädchen auf, ihre Stimme zitterte vor Abscheu und Schrecken. »Geh nicht darauf ein, das ist eine List!«
»Fühl mein Herz«, wiederholte Hanna. »Ich kann es nicht anders beweisen.«
Mirita zögerte.
»Komm raus, Mirita! Das ist ein verdammter Schatten!«
Hanna hielt dem Blick der jungen Flusshüterin stand und schüttelte leicht den Kopf. »Nein. Nein, ich bin’s nicht. Ich werde wirklich keinem etwas tun. Glaub mir doch! Was habe ich gewonnen, wenn ich dich beiße? Dass man mich nur umso sicherer umbringt? Wenn ich dir jedoch beweisen könnte, dass ich kein Schatten bin …«
Mirita fasste einen Entschluss. Obwohl die anderen Wächterinnen aufgeregt und fassungslos durcheinanderriefen, trat sie mit festem Schritt auf die Gefangene zu, sah ihr in die Augen und legte dann die Hand auf die Stelle über Hannas Herzen.
»Sie ist kein Schatten«, sagte sie langsam. Hanna atmete erleichtert auf, aber in Miritas Augen trat ein harter, starrer Ausdruck. »Wie konntest du das nur tun?«, sagte sie mit einer Stimme wie aus Eis. »Nicht einmal ich … nicht einmal für Mattim … Ein Mensch zu sein und so etwas zu tun ist noch viel schlimmer, noch viel, viel schlimmer!«
»Warum habt ihr mich dann nicht gleich erschossen, als ich mit dem Boot angelegt habe?«, rief Hanna ihr nach, als das andere Mädchen die Zelle verließ.
»Weil wir sehen wollten, was du vorhast«, sagte die Akinkerin zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Ob du etwas Bestimmtes ausspionierst oder angreifst. Ob es den Schatten neuerdings gelingt, den Fluss mit Booten zu überqueren, oder, wenn nicht, wozu sie dich ausgeschickt haben. Glaub mir, du hast keinen Schritt unbeobachtet getan. Wir waren die ganze Zeit da.«
»Davon habe ich gar nichts gemerkt.«
»Natürlich nicht. Aber als du mit dem alten Mann gesprochen hast, war mindestens ein Dutzend Pfeile auf dich gerichtet.«
Ob sie da nicht ein wenig übertrieb? Hanna nahm es fast an. Es war zu dunkel da draußen, um von weitem zu schießen. Nur das hatte Wilder gerettet. Doch wenn die Wächter ihr ganz nah gewesen waren, hätte sie das nicht bemerken müssen?
Was ihr viel mehr ausmachte, war die Angst der anderen dabei zu spüren. Und sich dabei merkwürdig leblos zu fühlen, so als wäre sie wirklich ein Schatten. Ein fürchterliches Ungeheuer, das eine Stadt zerstören konnte. Es vielleicht schon getan hatte. Vielleicht auch nicht.
Wenn sie Wilder gefangen oder erschossen hatten, würden sie ihr das nicht sagen. Auch das war ihr klar. Sie würden ihr gar nichts mitteilen und dafür alles von ihr wissen wollen. Was tat man im Mittelalter mit Gefangenen? Foltern?
Aber dies war nicht das Mittelalter.
»Was wird denn jetzt mit mir geschehen?«, fragte sie.
Niemand antwortete ihr. Mirita ging einfach, und die Wachen standen da mit feindseligen Mienen. Hanna ertrug es kaum; sie setzte sich auf die schmale Bank und verbarg das Gesicht in den Händen.
»König Farank«, kündigte eine der Wächterinnen auf dem Gang an.
»Lasst uns allein.« Die alles beherrschende Stimme. Der Mann, der das Licht mitbrachte, als hätte jemand die Fackeln mit einem Dimmer auf eine höhere Helligkeitsstufe gedreht.
»Herr?«
»Alle.«
Niemand war mehr auf
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