Magyria 02 - Die Seele des Schattens
so, wie Morrit gebrannt hat …
Es ließ sich nicht denken. Nicht vorstellen. Der Junge mit dem goldenen Haar und der weichen Haut. In ihrem Zimmer. Seine Stimme, wenn er sie rief: Mirita … Leise, zärtlich. Oder war es ihr nur so vorgekommen? Und die Küsse? Die Umarmungen? Und dieses Vielleicht, größer und schrecklicher als jedes andere Vielleicht – vielleicht ist noch genug Licht in ihm, um Akink zu retten.
Mitten in der großen Halle stand die Königin. Sie war von Soldaten umringt, und dennoch wirkte sie, als würde sie dort völlig alleine stehen, hell und zerbrechlich. Neben ihr erteilte der König Befehle. Er sandte die Wächter von Akink aus, zur Pforte, und im Gegensatz zu Elira sah er nicht wie ein Geschlagener aus, sondern wie ein Feldherr, der seine Truppen in den Kampf führt, stolz und siegesgewiss.
Mirita wandte sich ab und machte sich auf den Heimweg. Niemand hielt sie auf. Draußen biss ihr der strenge Rauchgeruch in die Nase und erinnerte sie daran, dass bald ein anderes Feuer brennen würde.
Der Junge mit dem goldenen Haar. Mein Prinz. Mein Mattim …
Es war der Rauch, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Der sie weinen ließ, obwohl sie doch nie weinte. Das sagte sie auch, als ihre Mutter ihr öffnete.
»Es ist der Rauch«, brachte sie heraus. »Es brennt. Es ist nur der Rauch …«
Mirita trat in die Stube, fing an zu schluchzen und konnte nicht mehr aufhören. Sie dachte, sie würde nie, nie im Leben aufhören können zu weinen, doch irgendwann kamen keine Tränen mehr. Ihr Gesicht war heiß und geschwollen. Sie öffnete das Fenster und sah auf den Fluss hinaus. Der Donua rauschte leise, und ein kühler Wind strich zärtlich über ihr Gesicht.
»Du hast Akink gerettet«, sagte ihre Mutter. »Du solltest nicht weinen, Mirita.« Sie legte ihr sanft den Arm um die Schulter. »Die Stadt ist doch gerettet?«
»Ja«, antwortete sie. »Akink ist gerettet.« Sie lauschte auf das Plätschern der Wellen gegen die Mauern. »Wir wissen, wo die Pforte ist. Mattim …« Sie kämpfte mit diesem Namen, aber sie hatte keinen anderen für jenes Wesen dort im Kerker. Wenn nur Akink dem Licht bleibt … »Mattim hat verraten, wie er hergekommen ist, um sein Leben zu erkaufen.« Sie hatte es geschafft, seinen Namen auszusprechen, aber den Namen des fremden Mädchens brachte sie nicht über die Lippen. Hanna. Man lernte so etwas nicht, weder in der Schule für die bürgerlichen Kinder noch im Kampf. Dass es Namen gab, die tiefer trafen als Pfeile, die mehr Gift in sich trugen als der Biss der Schatten. Namen, die selbst die Trauer vergifteten. Sie wollte um Mattim weinen, aber wie konnte sie das, wenn er ihr nicht einmal gehörte, sondern diesem anderen Mädchen?
»Mirita?«, fragte ihre Mutter sanft.
»Der König wird die Pforte bewachen lassen«, sagte Mirita lauter, heftig, sie stieß die Worte hervor, als wären es Messer, als könnte sie sich damit gegen den Schmerz verteidigen. »Kein Schatten wird Akink je wieder betreten. Wir haben diese Schlacht gewonnen.«
»Das ist doch gut? Warum weinst du dann, mein Kind?«
Es war nicht die Umarmung, die sie wollte, aber die einzige, die zur Verfügung stand. Sie sank gegen die Schulter ihrer Mutter.
»Er wird sterben«, wisperte sie. »Und er hat mich nie geliebt. Ich weiß nicht, was davon schlimmer ist.«
Ihre Mutter hielt sie fest. Wie stark ihre Arme waren, auch wenn sie nicht zu trösten vermochten.
»Er wird nicht sterben«, widersprach ihre Mutter. »Sagtest du nicht, er hat sein Leben erkauft? Sie werden ihn freilassen. Vielleicht ist ja doch noch etwas Gutes in ihm. Vielleicht kann er irgendwie erlöst werden und zu uns allen zurückkehren – eines Tages?«
»Sie werden ihn verbrennen«, sagte Mirita. »Morgen. Nein, Mutter, er wird nie erlöst werden. Es ist aus. Und ich bin schuld daran. Er ist bloß hergekommen, um sein Mädchen zu holen. Nicht um Akink zu vernichten. Allein ihretwegen. Ich habe die beiden zusammen gesehen, dort im Verlies. Wenn nur Akink dem Licht bleibt – das ist alles, was er wollte. Das und … und sie. Und ich habe ihn verraten. Morgen werden sie beide sterben.« Mirita hatte gedacht, sie könnte nicht mehr weinen, aber sie konnte.
»Aber du hast gesagt …«
»Sie werden brennen«, wiederholte Mirita. »Nie im Leben lässt der König ihn gehen.«
ACHTZEHN
Akink, Magyria
Mattim konnte ihn spüren, bevor er ihn kommen sah. Ein Brennen erfasste seine Haut; erst war es nur ein leichtes Prickeln, dann
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