Magyria 02 - Die Seele des Schattens
bis dahin werden wir kämpfen.«
»Nein«, rief Mattim, »nein, bitte … Wir sind deine Kinder, Vater. Immer noch. Kunun und Atschorek und ich. Bela ist ein Wolf. Und Wilder – wusstest du, dass er heute gestorben ist, hier in Akink? Gestorben so dicht vor der Burg, vor seinem Zuhause, dein eigener Sohn?«
Das Gesicht des Königs blieb unbeweglich.
»Hast du mich nicht gehört? Wilder ist tot! Und Wilia – sie war die Wölfin, die ich getötet habe! Meine eigene Schwester, deine Tochter! Und ich hatte keine Ahnung! Wie können wir einander umbringen, wenn wir doch eine Familie sind?«
»Ich wusste es«, sagte Farank ungerührt.
»Was, du – du wusstest es? Und hast es mich trotzdem tun lassen?«
»Ich weiß, gegen wen ich kämpfe«, sagte der König. »Ich selbst habe Leander die Lanze ins Herz gestoßen, als er über die Mauer sprang!«
»Du hast …« Mattim kämpfte mit den Tränen. Er hielt Hanna eng an seine Brust gepresst und streichelte ihr Haar. Er wollte ihr die Ohren zuhalten, damit sie das nicht hörte – das! »Unser eigener Vater? Hast du denn gar kein Mitleid? Du hast es gewusst? Die ganze Zeit? Du hast mich ausgeschickt gegen meine eigenen Geschwister?«
»Sie waren nicht mehr deine Geschwister«, widersprach der Monarch kühl. »Üble Kreaturen der Finsternis, erfüllt von Bosheit und Niedertracht, blutrünstige Ungeheuer! Niemand von euch wird Akink vergiften, niemand, solange ich lebe!«
»Ich bin auch vergiftet«, weinte Mattim. »Ich bin kein Ungeheuer. Ich bin krank. Es ist, als wäre ich krank! Ich brauche menschliches Blut, aber ich kann nichts dafür. Ich wäre gestorben, wenn … wenn ich nicht … Schau mich nicht so an! Kannst du mich nicht ansehen wie jemanden, der krank ist, der dein Mitleid braucht?«
»Wärst du doch lieber gestorben«, flüsterte der König.
Hanna richtete sich auf und setzte sich zitternd auf die Bank. Sie rieb sich die Arme.
»Mattim?«, fragte sie vorsichtig.
»Das ist mein Vater«, sagte er bitter. »Der König des Lichts. Er hält mich für seinen Feind.«
Nichts schien das unbewegliche Gesicht des Herrschers von Akink rühren zu können.
»Wir müssen nicht gegeneinander kämpfen«, flehte Mattim. »Können wir nicht miteinander – leben? Lass uns nach Hause, Vater. Wir würden niemandem etwas antun. Wir würden einfach nur hier sein.«
»Das habe ich eben gesehen, wie ihr einfach nur hier sein würdet«, spottete Farank heiser.
»Wir könnten es! Wir würden uns von der Burg fernhalten. Irgendwo wohnen, wie alle hier. Nachts. Nachts können wir das. Tagsüber würden wir die Fenster schließen. Es kann gelingen. Du könntest uns alle zurück nach Hause holen. Niemand würde kämpfen, niemand müsste mehr sterben. Kein Krieg mehr. Keine Angst.«
»Was soll das sein?«, fragte der König verächtlich. »Ein Versuch, Akink zu erobern, indem du versuchst, Mitleid zu erwecken? Mitleid mit einem Parasiten, der vom Blut anderer Menschen lebt? Glaubst du wirklich, ich würde jemals zulassen, dass Ungeziefer wie du in meine Stadt kommt und sich am Blut meines Volkes sättigt? Es spielt keine Rolle, wer ihr wart – vorher. Was würden mir die Männer sagen, wenn ihren Frauen graues Fell wächst, was würden mir die Mütter entgegenschleudern, wenn ihre Kinder auf leisen Pfoten aus dem Haus schleichen? Was könnte ich den Kindern antworten, wenn ihre Väter zu reißenden Bestien werden – dass ich das riskieren musste, um meine liebe kleine Familie um mich zu haben? Das ist mein Volk da draußen. Das sind meine wahren Söhne und Töchter. Ich werde sie ganz bestimmt nicht den Schatten zum Fraß vorwerfen. Das bedeutet es, dass ich der König des Lichts bin. Lieber verbrenne ich meine eigenen … verbrenne ich jeden Schatten. Ausnahmslos.«
»Kunun hat einen Traum«, sagte Mattim. »Er träumt davon, dass wir, wenn wir wieder in Akink sind, erlöst werden. Dass wir, wenn Licht und Schatten sich begegnen, zurückverwandelt werden.«
Noch während er es aussprach, wusste er, dass es nicht geschehen würde. Hätte sonst nicht irgendetwas mit ihm passieren müssen? Immer noch war er ein Schatten und konnte nicht aufhören, das zu sein, was sein Vater hasste.
»Das Licht tut nur eines mit der Dunkelheit«, sagte der König, fast sanft klang es, aber endgültig. »Es vertreibt die Schatten und löst sie auf. Wo das Licht herrscht, kann es keine Schatten geben. Wir werden kein Mitleid mit euch haben. Morgen früh werden wir euch auf den Richtplatz
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