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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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sich immer noch, den Unterschied zwischen Realität und Simulation, Fantasie und tatsächlichem Übergriff anzuerkennen. Und einige von ihnen waren durchaus in der Lage, sich in Szenarien einzuhacken, die gegen ihre politischen Überzeugungen verstießen.
    Das gegenwärtige Szenario zum Beispiel. Insgesamt war es eine ganz hübsche Konstellation. Er hatte zwei Mädchen mit dem Gesicht nach unten vor sich auf dem Tisch gefesselt. Eine von ihnen war über Abgreifklemmen an den Brustwarzen und der Klitoris mit einem Gleichstromgenerator verbunden. Die andere musste sich mit weniger hochtechnisierten Formen der Bestrafung zufrieden geben, die Desjardins ihr gerade mithilfe eines unpolierten Besenstiels verabreichte. Drei weitere hingen mit dem Kopf nach unten an der gegenüberliegenden Wand und vertrieben sich die Zeit, bis sie an der Reihe waren.
    Das war genau die Art Umgebung, an der bestimmte unangenehme Typen gern herumbastelten. Desjardins wusste von mehr als einem Fall, wo sich die Opfer ähnlicher Szenarien wie durch ein Wunder aus ihren Fesseln befreit hatten und mit Steakmessern und Heckenscheren hinter dem Benutzer hergejagt waren. Üblicherweise folgte darauf eine, wenn auch wenig fachmännisch, so doch mit umso mehr Enthusiasmus durchgeführte Kastration. In mindestens einem Fall war die Notunterbrechung überbrückt worden, sodass der Spieler bis zum bitteren Ende bei Bewusstsein blieb. In einer Feedback-Haut konnten einem solche Dinge mehr als nur einen kleinen Dämpfer versetzen. Wenn man über eine Neuralverbindung entmannt wurde, war man womöglich für den Rest seines Lebens impotent.
    Was natürlich der Sinn des Ganzen war.
    Achilles Desjardins war sich der Risiken stärker bewusst als die meisten anderen. Daher traf er auch umfangreichere Vorsichtsmaßnahmen als die meisten. Sein Sensorium war vollkommen autonom und besaß keinerlei Verbindung zu irgendeiner Art von Netzwerk. Er hatte die Graphikschaltkreise einer Lobotomie unterzogen, um ihre Anfälligkeit gegen die Internetfauna zu reduzieren. Sie konnten nun nur noch unscharfe Bilder mit niedriger Auflösung liefern, die einen Kenner normalerweise in den Wahnsinn getrieben hätten, aber Desjardins eigene Wetware machte diesen Mangel mehr als wieder wert. (Die optimierte Mustererkennung seiner Sehrinde rechnete die kruden Pixel zu Panoramas von einer solchen Bildschärfe hoch, dass selbst der verwöhnteste Wirehead darüber in Verzückung geraten würde.) Die Szenarios selbst waren bis auf die Texturkarten gereinigt und desinfiziert worden. Desjardins hatte in dieser Scheißwelt mehr als genug zu ackern. Er würde sich seine wohlverdienten Augenblicke mit Mr. Bone nicht von irgendeinem Puritaner aus dem 20. Jahrhundert verderben lassen.
    Weswegen der plötzliche und vollkommene Ausfall seines Systems umso beunruhigender war. Er hatte einen kurzen schmerzhaften Stich im Nacken verspürt, und dann war seine Umgebung einfach verschwunden.
    Einen Moment lang schwebte er nur benommen und körperlos in einer unsichtbaren Leere. Keine Geräusche oder Gerüche, kein taktiles Feedback und kein Sehvermögen – eigentlich sah er nicht einmal Schwärze . Es war nicht so, als wäre ein Fenster verdunkelt worden oder als hätte er die Augen geschlossen. Eher so, als hätte er überhaupt nie Augen besessen. Schließlich sah man mit dem Hinterkopf keine Schwärze, man sah …
    Verdammt , dachte er. Sie sind doch hineingelangt. Jeden Moment wird alles wieder hochgefahren, und dann werden sie mich am Spieß rösten oder etwas in der Art.
    Er versuchte, mit den Fingern auf den Unterbrechungsschalter zu drücken, doch er schien keine Finger mehr zu besitzen. Seine Sinne blieben offline. Einen Moment lang glaubte er, er hätte vielleicht noch einmal Glück gehabt. Vielleicht hatten sie gar nicht sein Programm infiziert, sondern es einfach nur zum Absturz gebracht. Keine so abwegige Idee – schließlich war es einfacher, ein System abstürzen zu lassen, als es zu unterwandern.
    Aber eigentlich hätten sie zu keinem von beidem in der Lage sein dürfen, verflucht noch mal … und warum spüre ich nichts mehr?
    »Hallo? Hallo? Ist dieses Ding eingeschaltet?«
    Was zum …
    »Sorry. Kleiner Scherz. Ich werde Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen, Achilles. Und ich möchte, dass Sie sich Ihre Antworten genau überlegen.«
    Die Stimme hing mit ihm in der Leere, geschlechtslos und ohne jeden Raumschall – kein Hall, kein leises Summen von in der Nähe befindlichen Geräten,

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