Mahlstrom
Da hol sich doch der Heiland einen runter …
»Haben Sie es befürwortet?«
Was ist das denn für dne blöde Frage?
Dann geschah lange Zeit nichts.
Ich fühle mich furchtbar , dachte Desjardins. Und dann: Hee …
Verzweiflung, Schuld, Furcht – das waren alles chemische Verbindungen. Hormone und Neurotransmitter, ein Gemisch, das nicht nur im Gehirn zusammengebraut wurde, sondern auch in Drüsen überall im Körper. Seinem physischen Kör per.
Ich bin am Leben. Ich besitze immer noch einen Körper, auch wenn ich ihn nicht spüren kann.
»Reden wir einmal über Sie«, sagte die Stimme schließlich. »Wie steht es in letzter Zeit mit Ihrer Gesundheit? Hatten Sie irgendwelche Schnittwunden oder Verletzungen? Irgendetwas, das zu einer offenen Wunde geführt hätte?«
Ich fühle mich schon etwas besser, vielen Dank.
»Irgendwelche Krankheitssymptome? Sind Sie in den letzten zwei Wochen geimpft worden? Wurden Bluttests durchgeführt? Hatten Sie ungewöhnliche Reaktionen auf Psychopharmakapflaster für den Freizeitbereich? Echte sexuelle Erfahrungen?«
Niemals. Einem echten Menschen würde ich das niemals antun …
Stille.
He? Sind Sie noch da?
Mit einem grellen Aufblitzen und einem Tosen, das wie der wütende Ozean klang, brach von allen Seiten die wirkliche Welt über ihn herein.
Nach einer Weile pegelte sich alles wieder auf die normale Intensität ein. Er blickte zur Decke seines Wohnzimmers hoch und wartete, bis sich die Kakophonie von Hintergrundgeräuschen in ein einzelnes, rhythmisches Schrubben verwandelt hatte.
Irgendjemand ist hier.
Er versuchte aufzustehen. Ein heftiger Schmerz im Nacken erinnerte ihn daran, keine ruckartigen Bewegungen zu machen, doch es gelang ihm, sich aufzurichten. Leider nur im unschuldigsten Sinne, natürlich. Seine Feedback-Haut lag zusammengefaltet neben ihm. Er war vollkommen nackt.
Das schrubbende Geräusch kam aus dem Badezimmer.
Er besaß keinerlei Waffen. Doch er glaubte auch nicht, dass er eine brauchte. Wenn der Eindringling ihn hätte töten wollen, dann hätte er es längst getan. Desjardins betrat zögernd den Flur und wäre beinahe mit dem Kopf voran gegen die Wand geprallt. Wie es sich für eine richtige Katze gehörte, war ihm Mandelbrot in diesem Moment in den Weg gelaufen und hatte versucht, ihn mit einem klassischen Schleifenmanöver um beide Beine zu Fall zu bringen.
Desjardins fluchte leise und schlich auf das Badezimmer zu.
Am Waschbecken stand ein Mann ohne Hose.
Von hinten war zu erkennen, dass er von mittlerer Größe war, aber so kompakt wie ein Ballard-Notstromaggregat. Er hatte dunkles, grau meliertes Haar, trug einen blauen Strickpullover und schwarze Unterwäsche, und die Rückseite seiner Beine war von kleinen Narben übersät. Er war barfuß. Seine Hose lag auf dem Waschtisch, und er schrubbte im Waschbecken an einem der Hosenbeine herum.
»Ihre Katze hat mich angepinkelt«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
Desjardins schüttelte den Kopf, und sein Nacken erinnerte ihn daran, dass das keine gute Idee war. »Wie bitte?«
»Während unserer Sitzung«, sagte der Fremde. (Desjardins warf einen Blick in den Spiegel, doch das Gesicht des Mannes, der immer noch ganz in seine Tätigkeit versunken war, war nach unten gerichtet.) »Ich nehme an, jemand in Ihrer Position kennt sich mit Ganzfeld-Techniken aus?«
»Ich habe davon gehört«, sagte Desjardins.
»Dann wissen Sie, dass man dabei sämtliche Signale aus der Außenwelt auf ein Minimum reduzieren muss. Nervenblockaden auf allen Hauptsinnesbahnen, und so weiter. Ich war genauso von der Welt abgeschnitten wie Sie.«
»Aber Sie haben doch mit mir geredet …«
Der Eindringling tippte mit dem Fuß gegen eine kleine beige Bauchtasche, die auf dem Boden lag. »Das da hat mit Ihnen geredet.
Ich habe nur vorher den Dialogbaum festgelegt. Na, jedenfalls« – er richtete sich auf, immer noch mit dem Rücken zur Tür – »hat mir Ihre blöde Katze währenddessen ans Bein gepinkelt.«
Schön für meine blöde Katze , dachte Desjardins, hielt jedoch den Mund.
»Ich dachte, nur Hunde machen so etwas.«
Desjardins zuckte mit den Achseln. »Mandelbrot ist so eine Art Mutante.«
Der Eindringling gab ein Knurren von sich und drehte sich dann zu ihm um.
Eigentlich war er nicht hässlich. Es sah eher so aus, als hätte jemand mit begrenzten Fähigkeiten als Kunsthandwerker ein menschliches Gesicht in einen Totempfahl geschnitzt. Es mochte einem vielleicht nicht gefallen, aber es besaß
Weitere Kostenlose Bücher