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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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plötzlich unterbrochen waren. Er sah nur die Mathematik im Innern der Blase: Systemaufbau, Betriebssystem, Software. Dateien, Programme und Internetfauna. Es war beinahe so etwas wie Teleportation – jedes Bit wurde analysiert und am anderen Ende der Welt rekonstruiert, während das Original trotz des intimen Übergriffs unverändert blieb.
    Er hatte es erwischt.
    Der Zeitfluss im Timor-Knotenpunkt kehrte wieder zum Normalzustand zurück. In seinem Innern machte sich plötzlich Panik breit. Internetfauna wurde wie Blätter in einem Tornado durcheinandergewirbelt, bahnte sich gewaltsam einen Weg durch Datensätze, brach durch Portale und kehrte ihr Innerstes nach außen. Das spielte keine Rolle. Es war zu spät.
    Desjardins lächelte. Er hatte eine Anemone in einem Tank.
     
    Im Innern des Terrariums konnte er die Zeit vollkommen anhalten.
    Es befand sich alles direkt vor seinen Augen, in der Bewegung erstarrt: eine Software-Nachbildung des Knotenpunkts selbst, Kopien von jedem Datenverzeichnis und jeder Adresse, jeder Datei und jedem Bit. Mit einem einzigen Befehl konnte er das alles in Gang setzen.
    Und es würde innerhalb von Sekunden auseinanderfliegen. So wie das Original im Timor-Knotenpunkt.
    Deshalb erstellte er Sicherheitskopien der Logs und Datenverzeichnisse, speicherte sie außerhalb des Knotenpunkts ab und richtete eine gefilterte Zweiwegeleitung zu den Originalen ein. Er ging die einzelnen Portale durch, die aus dem Knotenpunkt herausführten – im Augenblick Tore, die ins Nichts führten, von einer Blase, die im Leeren hing – und versetzte jedem von ihnen eine halbe Umdrehung.
    Dann betrachtete er sein Werk. Die Zeit stand still. Nichts bewegte sich.
    »Möbius, komm heraus«, murmelte er.
    Die Anemone schrie. Tausende nicht registrierte Programme sprangen nach vorn und rissen die Verkehrs-Logs in Stücke. Millionen weitere entkamen durch die Portale.
    Zehnmal so viele sahen ungläubig zu, wie sich die verstümmelten Logs innerhalb kürzester Zeit von selbst reparierten, ohne dass sie auch nur einen Tropfen Blut verloren hätten – auf magischem Wege durch göttliche Kraft wiederhergestellt.
    Sahen zu, wie die Internetfauna, die durch dieses Portal geflohen war, durch jenes wieder hereingestürzt kam, rotierend vor Verwirrung.
    Wie sich mitten in der Wildnis ein Kanal öffnete und eine Stimme vom Himmel herabklang: »Hallo, Anemone.«
    »Wir reden nicht mit dir.« Geschlechtslos, neutral. Standardeinstellung.
    Es fiel immer noch über die Datensätze her, aber dieses Mal wandte es ein Dutzend unterschiedlicher Strategien an: von raffinierter Fälschung bis hin zum Frontalangriff und alles, was dazwischen lag. Nichts davon funktionierte, aber Desjardins war dennoch beeindruckt. Verdammt klug.
    So klug wie eine Kreuzspinne, die blind das Verhalten abspulte, das ihr eigenes Überleben sicherte. So klug wie ein Vogel, der anhand von Wind und Entfernung die maximale Traglast auf drei Dezimalstellen genau berechnen konnte.
    »Das solltest du aber«, sagte Desjardins freundlich. »Denn ich bin Gott.« Er fing irgendeinen beliebigen Vertreter der Internetfauna ein, markierte ihn und ließ ihn wieder frei.
    »Du gibst doch bloß weißes Rauschen von dir. Lenie Clarke ist Gott.« Eine Fischschule, ein Schwarm Kreise ziehender Vögel, so komplex, dass man Matrix-Algebra und denkende Maschinen brauchte, um sie ganz verstehen zu können. Der ASCII-Code kam irgendwo aus seinem Innern.
    »Clarke ist nicht Gott«, sagte Desjardins. »Sie ist eine Petrischale.«
    Die Internetfauna versuchte immer noch, durch die miteinander verbundenen Portale zu entkommen, doch ihre Bewegungen waren inzwischen weniger vom Zufall bestimmt. Sie ähnelten eher einer systematischen Erkundung, die spontan eingesetzt hatte. Desjardins überprüfte das Teilchen, das er markiert hatte. Es hatte sich bereits vermehrt, und all seine Nachkommen trugen dasselbe Kainsmal, mit dem er ihren Vorfahren gezeichnet hatte. Und die Nachkommen hatten ihrerseits bereits weitere Nachkommen in die Welt gesetzt.
    Zweihundertsechzig Generationen innerhalb von vierzehn Sekunden. Nicht schlecht.
    Vielen Dank, Alice. Ohne dein Gefasel über tanzende Hummeln wäre ich wohl nie darauf gekommen …
    »Vielleicht brauchst du eine Demonstration«, sagte der Schwarm. »Du willst ein paar Special Effects sehen, nicht wahr?«
    Und sie hatte recht gehabt. Gene besitzen ihre eigene Intelligenz. Sie können eine Ameise dazu bewegen, Farmen unter der Erde zu bauen und

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