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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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fand, waren es nicht die Baud-Rate oder flüchtende Internetfauna, die ihm den entscheidenden Hinweis gaben, sondern der Inhalt: »Ich weiß, wo sich Lenie Clarke befindet.« Es sprach mit der geschlechtslosen, neutralen Stimme von nicht komprimiertem ASCII-Code in der Standardeinstellung. Sein Deckname war Tesserakt. »Les beus sind hinter ihr her, aber im Augenblick haben sie ihre Fährte verloren.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragte jemand, der sich Poseidon-23 nannte.
    »Ich bin die Anemone«, sagte Tesserakt .
    »Klar. Und ich bin Ken Lubin.«
    »Dann sind deine Tage gezählt, mein altes Büchermonster. Ken Lubin hat die Seiten gewechselt. Er arbeitet jetzt für die Firmenbosse.«
    Deutlich klüger, wenn es das herausgefunden hatte. Allerdings war es nicht sonderlich schlau, wildfremden Leuten davon zu erzählen. Desjardins begann, eine Skizze auf seiner Konsole anzulegen.
    »Wir müssen ihr helfen«, sagte Tesserakt gerade. »Befindet sich irgendeiner von euch in Zentral-N'Am, sagen wir, in der Nähe der Großen Seen?«
    Keine Zugriffe auf das örtliche Verkehrs-Log, keine verräterische Suche nach Turing-Programmen, keine Spuren auf dem Kanal. Nichts, was Tesserakts Verdacht hätte erregen können. Achilles Desjardins war ebenfalls klüger geworden.
    »Verpiss dich, Tessie!« Ein Skeptiker mit Namen Hiigara . »Du denkst doch nicht etwa, dass wir einfach so nach der Pfeife von Lenie Clarkes persönlichem Manager tanzen, nur weil der zufällig in einem Chat auftaucht?«
    Nichts in der örtlichen Verbindungsstelle. Desjardins begann angrenzende Server zu durchsuchen.
    »Ich höre Skepsis heraus«, stellte Tesserakt fest. »Ihr wollt also Special Effects. Eine Demonstration.«
    »Klar Mann«, sagte Poseidon-23 und ertrank im Tosen eines Ozeans.
    Desjardins blinzelte. Eben waren nur sechs Leute auf dem Kanal angemeldet gewesen. Jetzt waren es 4862, die alle zugleich redeten. Einzelne Stimmen waren nicht herauszuhören, aber selbst das kollektive Stimmengewirr war unglaublich klar: ein digitales Geplapper ohne Verzerrungen, weißes Rauschen oder das arhythmische Stottern von Bytes, die während der Übertragung verzögert wurden oder verloren gegangen waren.
    Dann herrschte wieder Stille. Auf dem Kanal waren erneut nur die sechs Leute angemeldet, die zuvor schon dort gewesen waren.
    »Bitte schön«, sagte Tesserakt .
    Verdammt , dachte Desjardins. Erschüttert betrachtete er die Anzeige auf seiner Konsole. Es redet mit allen gleichzeitig.
    »Wie hast du das gemacht?«, fragte Hiigara .
    »Darauf möchte ich lieber nicht eingehen«, flüsterte Tesserakt . »Das erregt Aufmerksamkeit. Befindet sich irgendeiner von euch in Zentral-N'Am, sagen wir, in der Nähe der Großen Seen?«
    Desjardins schaltete den Ton aus. Nun, da er die Fährte aufgenommen hatte, musste er den Gesprächen nicht mehr lauschen. In einem Krankenhausserver am anderen Ende der Stadt schien es eine Menge Internetfauna zu geben. Er verschaffte sich Zutritt und blickte durch seine Portale hinaus.
    Dort drüben gab es sogar noch mehr Internetfauna. Desjardins machte einen Schritt zur Seite und fand sich in der Kontendatenbank der Osloer Nationalbank wieder. Und noch mehr Internetfauna sammelte sich auf …
    Ein weiterer Schritt.
    Timor. Ziemlich starker Befall. Diese kleinen Tochterunternehmen befanden sich zwar immer noch im 20. Jahrhundert, was die Abwehr von Seuchen anbelangte, aber trotzdem …
    Das ist es , dachte er.
    Rühr nichts an. Dring direkt bis zur Wurzel vor.
    Das tat er dann auch. Flüsterte Torwächtern und Systemuhren süße Nichtigkeiten ins Ohr und zeigte seine ID, um ihre Bedenken zu zerstreuen. Ein ganzer Haufen User wird bald ziemlich sauer sein , dachte er.
    Er drückte einen Knopf an der Konsole. Am anderen Ende der Welt wurden sämtliche an den Timor-Knotenpunkt angrenzenden Portale zugeschlagen.
    In seinem Innern geriet die Zeit ins Stottern.
    Sie blieb nicht gänzlich stehen. Um den Inhalt des Systems kopieren zu können, musste es noch ein wenig weiterlaufen. Doch das würde hoffentlich keine große Rolle spielen. Ein paar tausend oder zehntausend Zyklen. Vielleicht genug, dass dem Gegner im Zeitlupentempo dämmerte, was gerade geschah, aber – wenn Desjardins Glück hatte – nicht genug, dass er etwas dagegen unternehmen konnte.
    Er achtete nicht auf den Verkehr, der sich an den Gattern von Timor aufstaute. Und auch nicht auf die genervten Anfragen anderer Knotenpunkte, die sich wunderten, warum ihre Verbindungen

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