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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Sie?«
    Lubin hätte beinahe laut gelacht. Das stinknormale, natürliche Schuldgefühl. Das gute alte Gewissen. Wie sollte das funktionieren, wenn sämtliche Rezeptoren blockiert waren? Jovellanos und ihre Kumpels waren so sehr mit der Manipulation der synthetischen Stoffe beschäftigt gewesen, dass sie die chemischen Verbindungen vergessen hatten, die seit Jahrhunderten natürlicherweise im Körper vorkamen.
    Nur dass sie sie nicht vergessen hatten. Sie hatten ganz genau gewusst, was sie taten. Dessen war sich Lubin sicher.
    Gepriesen sei die Entropie-Patrouille! Mit der Macht, ganze Städte und Regierungen lahmzulegen, der Macht, an einem Ort eine Million Menschen zu retten und an einem anderen eine Million umzubringen, der Macht, das System am Laufen zu halten oder es von einem Moment auf den nächsten in Stücke zu reißen …
    Er wandte sich Clarke zu. »Ihr Fanclub hat die Fesseln der Unterdrückung abgeschüttelt«, sagte er. »Sie sind jetzt frei. Nicht mehr länger Sklaven des Schuldgefühls oder der Schuld. Sie besitzen keinerlei Gewissen mehr.«
    Er hob die Hand in der Dunkelheit zu einem bitteren Toast: »Gratulation, Dr. Jovellanos. Es gibt lediglich ein paar tausend Menschen, die Zugriff auf sämtliche roten Knöpfe der ganzen Welt haben, und Sie haben sie alle in klinische Soziopathen verwandelt.«
    »Glauben Sie mir«, sagte Jovellanos, »Sie werden den Unterschied kaum bemerken.«
    Desjardins hingegen bemerkte sehr wohl einen Unterschied. »Verdammt, verdammt. Ich wäre nicht einmal hier. Ich meine … ich habe einfach alles stehen und liegen gelassen und bin losgelaufen. Habe alles hingeschmissen. Es war mir egal, ob die Welt den Bach runtergeht. Ich habe einfach … und das alles für eine einzige Person . Nur weil ich es wollte.«
    »Wir Psychos sind bekannt dafür, dass wir uns von unseren Trieben beherrschen lassen«, sagte Clarke und ging zu ihm hinüber. »Ken, wie löst man diese Fes seln?«
    Lubin musterte finster ihren Rücken. Hat sie es immer noch nicht begriffen?
    »Kommen Sie schon, Ken. Die Situation ist unter Kontrolle. Im Augenblick geht keiner von uns irgendwohin, und sämtliche Regeln, die vorher bestanden haben, scheinen sich mehr oder weniger in Luft aufgelöst zu haben. Vielleicht können wir ja zur Abwechslung einmal zusammenarbeiten.«
    Er zögerte. Keines ihrer Worte löste in seinem Innern irgendeinen Alarm aus. Nichts drängte ihn dazu zu handeln, keine andere Wesenheit versuchte, die Kontrolle über seine motorischen Nerven an sich zu reißen. Versuchsweise ging er in das Wohnzimmer hinüber und depolarisierte die Klebfasern. Sie glitten zu Boden wie Nudeln, die zu lange gekocht worden waren.
    Außerdem zog er einen Leuchtstab aus der Tasche und schaltete ihn ein. Licht flammte in dem ausgeweideten Raum auf. Desjardins blinzelte, während sich seine Pupillen zusammenzogen, und betastete vorsichtig den Bluterguss an seiner Wan ge.
    »Das Gewissen wird sowieso überbewertet«, sagte Jovellanos, und ihre Stimme schien von überallher zu kommen.
    »Jetzt mach mal halblang, Alice«, sagte Desjardins und rieb sich die Handgelenke.
    »Ich meine es ernst. Denk mal drüber nach: Nicht jeder hat überhaupt ein Gewissen. Und die Leute, die eins haben, werden stets von denen ausgebeutet, die keins besitzen. Wenn man es genau bedenkt, ist das Gewissen … irrational.«
    »Du hast sie doch nicht mehr alle.«
    »Wenn du ein Soziopath bist, macht dich das nicht automatisch zu einem Mörder. Es heißt nur, dass du nicht zögern würdest, zum Mörder zu werden, wenn es die Situation erfordert. He, Killjoy, du könntest es sogar als eine Art Befreiung betrach ten.«
    Der Gesetzesbrecher schnaubte.
    »Komm schon, Kill. Ich habe recht. Du weißt, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass ich recht habe.«
    »Ich weiß nur, dass ich wahrscheinlich bis zum bevorstehenden Weltuntergang arbeitslos sein werde. Das heißt, wenn ich nicht in zehn Minuten eh schon tot bin.«
    »Weißt du«, sagte Jovellanos, »vielleicht kann ich auch dagegen etwas tun.«
    Desjardins erwiderte nichts.
    »Was ist, Killjoy? Bist du jetzt plötzlich nicht mehr der Meinung, dass ich mich verpissen soll?«
    »Sprich weiter«, sagte er.
    Und das tat sie auch. Lubin zog den Knopf aus seinem Ohr und richtete sich auf. Der Leuchtstab warf seinen Schatten riesig und bedrohlich durch den Raum. Lenie Clarke saß am anderen Ende des Zimmers auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Lubins Silhouette schien sie im

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