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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Wunsch nach Gesellschaft. Sie ging nach links.
    Und blieb stehen.
    Eine Erscheinung stand vor ihr im Flur, ein dunkles Gespenst mit leeren Augen. Meerwasser rann an seiner Haut hinab und hatte feuchte Fußspuren im Flur hinterlassen. Die Gestalt war weiblich, und sie war so schwarz wie der Ozean.
    Das Gespenst hob die Hand und schlitzte sein Gesicht auf. »Hallo, Mutter«, sagte es.
    »Lenie Clarke«, hauchte Rowan.
    »Sie haben die Tür offen gelassen«, sagte Clarke. »Ich habe mich selbst hereingelassen. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
     
    Ruf um Hilfe , dachte Rowan. Doch sie rührte sich nicht.
    Clarke blickte sich im Flur um. »Hübsche Station. Sehr geräumig.« Sie richtete ihre kalten, leeren Augen auf Rowan. »Sie können sich glücklich schätzen. Sie hätten mal das Loch sehen sollen, in dem wir gehaust haben.«
    Ruf um Hilfe. Sie ist allein. Sie ist …
    Mach dich nicht lächerlich. Sie ist nicht ganz allein mitten in den Atlantik gelangt.
    »Wie haben Sie uns gefunden?«, fragte Rowan und war erleichtert darüber, wie gleichmütig ihre Stimme klang.
    »Machen Sie Witze? Haben Sie eine Ahnung, wie viele Ressourcen Ihre Leute umleiten mussten, um diese Station zu errichten? Und das auch noch unter großem Zeitdruck. Haben Sie wirklich gedacht, es würde Ihnen gelingen, alle Spuren zu verwischen?«
    »Die meisten schon«, sagte Rowan. »Man muss schon ein Gesetzesbrecher sein, um …«
    Desjardins. Aber wir haben ihm den Zugang gesperrt …
    »Ja, diese verrückten Gesetzesbrecher .« Clarke schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, die sind nicht mehr ganz so loyal wie früher. Wir sollten uns irgendwann einmal darüber unterhalten.«
    Rowan bemühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. »Was wollen Sie?«
    Clarke schlug sich mit der Hand gegen die Stirn, als sei ihr gerade eine Erkenntnis gekommen. »Natürlich! Ich wette, Sie machen sich Sorgen wegen ßehemoth, nicht wahr? Was für eine Verschwendung – da gibt man Milliarden aus, um sich eine gemütliche, kleine Quarantäne einzurichten, und plötzlich taucht Patient Zero auf und scheißt auf die Polstermöbel …«
    »Was wollen Sie?«
    Clarke trat einen Schritt vor. Rowan wich nicht zurück.
    »Ich will mit meiner Mutter reden«, sagte die Rifterin leise.
    »Ihre Mutter ist tot.«
    »Nun, das kommt auf die Definition an.« Clarke legte die Finger zu einer Pyramide zusammen und dachte nach. »Im genetischen Sinne ist meine Mutter tatsächlich tot. Aber irgendjemand hat mich geschaffen. Hat mich neu erschaffen. Jemand hat mir meine Persönlichkeit genommen und sie durch etwas anderes ersetzt.« Ihre Stimme wurde hart. »Irgendjemand hat mich auseinandergenommen und nach seinen eigenen Vorstellungen wieder zusammengesetzt. Und hat dabei so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Aber so ist das mit Eltern nun einmal, habe ich recht?«
    Oh ja.
    »Na jedenfalls«, fuhr Clarke fort, »bin ich auf einer … nun ja, man könnte es wohl eine Pilgerreise nennen. Ich suche nach Antworten von der Person, die mich tatsächlich all die Jahre lang missbraucht hat. Ich dachte mir, dass sie so was wie ein Ungeheuer sein muss, um so etwas zu tun. Groß und fies und furchteinflößend. Aber das bist du gar nicht. Du versteckst dich, Mutter . Die Welt geht den Bach runter, und hier bist du, kauerst dich zitternd zusammen und pinkelst dir vor Angst in die Hosen, während wir anderen versuchen, mit der Sauerei klarzukommen, die du angerichtet hast.«
    »Wagen Sie es nicht«, fauchte Rowan. »Sie arrogante kleine Laus, wagen Sie es ja nicht.«
    Clarke betrachtete sie mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen.
    »Wollen Sie wissen, wer diese Sauerei tatsächlich angerichtet hat?«, fragte Rowan. »Wir haben versucht, ßehemoth einzudämmen. Wir haben alles Menschenmögliche getan, haben versucht, es vom Angesicht der Erde zu tilgen, ehe es sich verbreiten konnte. Und wer hat uns unablässig daran gehindert? Wer hat ßehemoth freigesetzt, Clarke? Wer hat auf Schritt und Tritt die Apokalypse verbreitet? Wer war so versessen auf seinen eigenen, selbstgerechten Kreuzzug, dass es ihm egal war, wie viele Menschen leiden mussten? Ich bin nicht der Todesengel. Sie sind es. Ich habe versucht, die Welt zu retten.«
    »Indem Sie mich umbringen. Und meine Freunde.«
    »Ihre Freunde? Ihre Freunde ?« Rowan kämpfte gegen den albernen Drang an, zu lachen. »Sie dumme, blinde, kleine Schlampe! Der Kollateralschaden bestand aus Millionen Menschenleben,

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