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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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bunten Ansammlung von Titan/Fulleren-Kugeln, in sicherer Entfernung von der Außenwelt, unsichtbar für alle, die nicht über die besten technischen Augen und die exaktesten Informationen verfügten. Es war ein annehmbares Risiko: Die meisten der Leute, auf die diese Beschreibung zutraf, befanden sich bereits hier unten.
    Die Station war sehr geräumig. Es gab zwei Sporthallen, ein halbes Dutzend Gewächshäuser und Gärten, die mit Umsicht verteilt worden waren, unter Berücksichtigung einer gewissen Redundanz für den unwahrscheinlichen Fall einer örtlichen Implosion. Bottiche voller hirnloser Organkloner mit langen Telomeren. Drei Kraftwerke, die von einer kleinen Geothermalquelle angetrieben wurden – selbstverständlich garantiert ßehemoth-frei –, in sicheren zwölfhundert Metern Entfernung, auf der abgewandten Seite eines dazwischen aufragenden Meeresrückens. Und irgendwo dort draußen auf der Basaltklippe befand sich ein umfangreiches Lager mit Ersatzkomponenten sowie Bauteilen von Bibliotheken, Spielplätzen und Gemeindezentren, die dort für die Zukunft aufbewahrt wurden, wenn es einmal nicht mehr nötig sein würde, sich feige zu verstecken. Rowan hatte gehört, dass sich einige Bewohner von Atlantis über die beengten Verhältnisse beschwert hat ten.
    Sie selbst hatte damit weniger Schwierigkeiten. Sie hatte die Baupläne der Rifterstationen gesehen.
    Es war nach Mitternacht. Die Flurlichter waren gedämpft und stellten nur noch eine blasse Parodie des Sonnenscheins dar, den sie sonst nachahmten. Die meisten Bewohner akzeptierten die Illusion und hatten sich in ihre Apartments zurückgezogen. Rowans Mann und ihre Kinder schliefen ebenfalls. Aus irgendeinem Grund konnte sie sich jedoch nicht dazu durchringen, sich der Täuschung hinzugeben. Was hätte das für einen Sinn? Der natürliche Schlafrhythmus geriet ohnehin vollkommen durcheinander, wenn die Hell-Dunkel-Perioden zur Kalibrierung des Hypothalamus fehlten. Hier unten gab es kein Sonnenlicht. Sie würden die Sonne niemals Wiedersehen. Sie sollten sich also besser damit abfinden.
    Es heißt, dass das Ganze nur vorübergehend ist. Irgendetwas wird ßehemoth besiegen, oder wir werden irgendwie lernen, damit zu leben. Dieser tiefe, dunkle Abgrund ist nur eine Zufluchtstätte, nicht unser Schicksal. Wir werden zurückkehren, wir werden zurückkehren, wir werden zurückkehren …
    Sicher.
    Wenn sie sich große Mühe gab, gelang es ihr beinahe, die Stricke und schwankenden Stützbalken zu vergessen, die diese hoffnungsvollen Träume daran hinderten, in sich zusammenzufallen. Meistens war ihr das jedoch zu anstrengend, und sie lief einfach nur stundenlang durch die leeren, trübe erleuchteten Flure, um sich von allen nostalgischen Gefühlen zu befreien. So wie auch jetzt.
    Manchmal kam sie an Fenstern vorbei und blieb stehen. Noch etwas, das Atlantis besaß, was die Rifter nicht besessen hatten: klare, parabolische Blasen, die so geformt waren, dass sie unter dem enormen Druck sogar noch widerstandsfähiger wurden. Die Aussicht war natürlich nichts, was man als Postkarten hätte verschicken können. Eine Raute aus grauem Felsgestein, das das trübe Licht der Sichtluke reflektierte. Gelegentlich leuchteten Sterne auf – Lichtsignale, die unablässig blinkend auf Stromleitungen oder Bauteillager hinwiesen. Sehr selten schwamm ein Rattenschwanz oder irgendein anderes, wenig bemerkenswertes Geschöpf vorbei. Keine Ungeheuer. Nichts, das auch nur annähernd den gefräßigen, leuchtenden Räubern geglichen hätte, die einst die Rifter in der Station Beebe heimgesucht hatten.
    Meist war nur massive, undurchdringliche Finsternis zu sehen.
    Manchmal blickte Rowan in diese blinde Leere und verlor dabei die Zeit aus den Augen. Ein paarmal glaubte sie sogar etwas gesehen zu haben, das zu ihr hereinschaute. Vermutlich war es reine Einbildung gewesen. Ihr Spiegelbild, das von einer unerwarteten Krümmung des tränenförmigen Plexiglases zurückgeworfen wurde.
    Vielleicht auch ihr Gewissen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
    Vor ihr lag eine Wegkreuzung, ein trübe erleuchteter Raum, wo mehrere Flure zusammenliefen wie die Arme eines Seesterns. Sie musste eine Entscheidung treffen. Wenn sie sich links hielt, blieb sie im äußeren Bereich der Station. Alle anderen Wege führten ins Innere – zu Schaltzentralen, Aufenthaltsräumen und hohlen Ganglien, wo sich die Menschen versammelten, selbst wenn die Lichter heruntergedreht waren. Patricia Rowan verspürte nicht den

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