Mahlstrom
Herzen des Mahlstroms entgegenblickte. Seit dem Tag seiner Entstehung hatten die Gele es sauber gehalten; eine Hochgeschwindigkeits-Rechenlandschaft, die von Würmern, Viren oder digitalen Räubern frei war. Irgendwann einmal, vor langer Zeit, war das gesamte Netzwerk so sauber gewesen. Vielleicht würde es eines Tages wieder so sein, wenn die Gele hielten, was sie versprachen. Derzeit hatten jedoch nur zwei oder drei Millionen ausgewählte Personen Zutritt zu diesem Bereich.
Er wurde Zuflucht genannt, und Achilles Desjardins lebte mehr oder weniger dort.
Im Augenblick spann er gerade in einer noch unberührten Ecke seiner Spielwiese ein Netz. Die biochemischen Daten, die sie von Rowan erhalten hatten, waren bereits an Jovellanos' Station übermittelt worden. Als Erstes richtete er eine Update-Verbindung ein. Dann warf er über die Schulter der wachsamen Gele hinweg einen Blick in den Mahlstrom selbst. Dort draußen befanden sich Dinge, die hereingeholt werden mussten – allerdings vorsichtig, mit Rücksicht auf die blankgewienerten Böden des Refugiums:
Suche in den Archiven des EOS. Beschaffe täglich aktualisierte Radarkarten über Bodenfeuchtigkeit im vergangenen Jahr, wenn verfügbar. (Heutzutage ein großes Wenn . Vor einer Woche hatte Desjardins versucht, eine Kopie von Bonny Anne aus der Bibliothek herunterzuladen, nur um festzustellen, dass sämtliche Bücher, auf die mehr als zwei Monate lang niemand mehr zugegriffen hatte, gelöscht worden waren. Das ewig gleich bleibende Mantra: begrenzter Speicherplatz.) Elektromagnetische Bilder von Polyelektrolyten und komplexen Kationen. Multispektrale Aufnahmen von den wichtigsten Chlorophyllen, Xanthophyllen und Karotinoiden und darüber hinaus von Eisenwerten und Bodenstickstoff. Und nur der Vollständigkeit halber – natürlich ohne große Hoffnung auf Erfolg – eine Anfrage an die NCBI-Datenbank nach aktuellen genetischen Konstrukten, die in der wirklichen Welt einsetzbar wären.
Die Mikrobe konkurriert mit den konventionellen Primärproduzenten, hatte Rowan gesagt. Was bedeutete, dass die konventionellen Mikrolebewesen möglicherweise abstarben: Führe ein Spektralanalyse auf erhöhte Bodenmethanwerte durch. Die Verbreitung ist möglicherweise von der Temperatur abhängig; also Infrarotbilder unter Einberechnung von Albedo und Windgeschwindigkeit. Beschränke den Suchbereich auf ein Polygon, das sich von den Gipfeln der Kaskadenkette bis zur Küste erstreckt und von Cape Flattery bis hinunter zum achtunddreißigsten Breitengrad.
Verbinde die Fäden miteinander. Setze das Signal dem üblichen statistischen Spießrutenlauf aus: Pfadanalyse, Boltzmann-Transformation, ein halbes Dutzend Formen der nichtlinearen Bewertung. Diskriminanzfunktionen. Hankins-Filter. Hauptkomponentenanalyse. Interferometrieprofile mit einer Reihe von Wellenlängen. Lynn-Hardy Hypernischen-Tabellen. Wiederhole sämtliche Analysen mit wechselnden Verzögerungszeiten von null bis zu dreißig Tagen.
Desjardins bediente seine Konsole. Aus Datenwolken bildeten sich abstrakte Formen, die aus den Augenwinkeln betrachtet seine Aufmerksamkeit erregten und sofort wieder verschwanden, sobald er den Blick darauf richtete. Verschwommene weiße Linien, die aus einem Dutzend verschiedener Richtungen kamen, verflochten sich miteinander, nahmen Farben an, bildeten verschlungene fraktale Muster …
Doch halt! Der p-Wert dieses Mosaiks war höher als 0,25, und dieses dort wich von den Annahmen der Homoskedastizität ab. Das kleine dort in der Ecke brachte die Hesse-Matrix durcheinander. Ein fehlerhafter Faden, kaum sichtbar, und der ganze Teppich begann sich aufzuräufeln. Reiß alles nieder, lösch die Transformationen, fang noch einmal von vorn an …
Moment mal!
Ein Korrelationskoeffizient von – 0,873. Was hatte das zu bedeuten?
Die Temperatur. Die Temperatur erhöhte sich, wenn das Chlorophyll abnahm.
Warum ist mir das vorher noch nicht aufgefallen? Ach richtig. Die Verzögerungszeit. Was zum …
Was zum …
Ein leises Läuten in seinem Ohr: »Hallo, Killjoy. Ich bin hier auf etwas sehr Merkwürdiges gestoßen.«
»Ich auch«, erwiderte Desjardins.
Jovellanos' Büro befand sich nur ein Stück den Flur hinunter, dennoch dauerte es einige Minuten, bis sie an seiner Tür auftauchte. Die Koffeinspritze in ihrer Hand sagte ihm auch, warum.
»Du solltest mehr schlafen«, sagte er. »Dann brauchtest du nicht so viele Aufputschmittel.«
Sie hob eine Augenbraue. »Und das von dem Mann,
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