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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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weitergelaufen war, hatten Sudburys innerstädtische Schluchten um ihn herum immer mehr abgenommen. Von den niedrigen Häuserdächern hingen endlose Ranken Kudzu herab, die die Fenster und Lüftungsöffnungen mit leuchtend grünem Blattwerk einrahmten. Der neue und optimierte Teil seines Gehirns begann die Kohlenstoffverbrauchsrate bei der gegenwärtigen Bewölkung abzuschätzen, und es gelang ihm mit Mühe, ihn zum Schweigen zu bringen. Er hatte sich schon immer gefragt, ob die Kletterpflanze so einfach wieder zu vernichten sein würde, wie im Allgemeinen angenommen wurde, nachdem sie die Exzesse des vorangegangenen Zeitalters aufgesaugt hatte. Kudzu war von Anfang an äußerst widerstandsfähig gewesen, sogar schon bevor die Pflanze durch Genbastelei in Gottes eigene Kohlenstoffsenke verwandelt worden war. Und heutzutage fanden jede Menge Auskreuzungen und Lateraler Gentransfer statt, unkontrolliert und unaufhaltsam. In weiteren zehn Jahren würde das Unkraut vermutlich so immun sein, dass es sich nur noch mit einem Flammenwerfer bekämpfen ließe.
    Nun schien das zum ersten Mal bedeutungslos zu sein. In zehn Jahren war Kudzun möglicherweise das geringste ihrer Probleme.
    Für die armen Schweinehunde in der Zone jedenfalls würde es keine Rolle mehr spielen.
     
    Sie hatten ein Modell gebaut.
    Natürlich war es kein echtes Modell. Dafür wussten sie zu wenig über ßehemoths Aufbau. In seinem Innern gab es keine Maschinerie, nichts, das logischerweise von Ursache zu Wirkung geführt hätte. Eigentlich war das Ganze nur ein Wust von Korrelationen. Eine n-dimensionale Wolke, durch deren Herz eine Kurve der größtmöglichen Annäherung verlief. An einem Ende verschlang sie Daten und schied am anderen Ende eine Vorhersage aus. Auf einem halben Hektar Land in einer Schiffswerft von Tillamook liegt die Bodenfeuchtigkeit bei 13 Prozent, das Wetter ist seit fünf Tagen in Folge sonnig, Porphyrinwerte sind gesunken und Mikromethanwerte gestiegen? Das ist ßehemoth-Land, mein Freund – und wenn es morgen nicht regnet, besteht eine achtzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass es auf die Hälfte seiner gegenwärtigen Größe zusammenschrumpfen wird.
    Warum? Wer weiß das schon? Aber das ist nun einmal das, was unter ähnlichen Bedingungen schon einmal passiert ist.
    Rowans Eckdaten hatten ihnen den richtigen Weg gewiesen, aber es waren die Feuer, die ihnen letzten Endes auf die Sprünge geholfen hatten. All die Leuchtfeuer, die bis hinauf in die geosynchrone Umlaufbahn zu rufen schienen: Hallo! Hier bin ich! Danach mussten sie nur noch die Archive der Landsatelliten nach den entsprechenden Orten durchsuchen und vom Ausbruch des Feuers fünf oder sechs Monate zurückgehen. Manchmal fanden sie nichts – die Feuer in den Wohngebieten beispielsweise hatten keinerlei nützliche Informationen geliefert. Manchmal waren die Daten verloren oder gelöscht oder vom üblichen Wirken der Entropie beschädigt. Manchmal jedoch – an Küstenstrichen oder in unbebauten Industriegebieten, wo schwere Maschinen zwischengelagert wurden – veränderten sich nach einer Weile die Bedingungen. Die Photoabsorption kletterte das 680-nm-Band hinunter, der Sauerstoffwert des Bodens sank ein klein wenig, die pH-Werte verschoben sich ganz leicht in den sauren Bereich. Wenn man lange genug wartete, konnte man die Veränderungen sogar bei sichtbarem Licht erkennen. Unkraut und Gräser, die so widerstandsfähig waren, dass die normalen Öle und Abwasser ihnen längst nichts mehr anhaben konnten, welkten langsam dahin und wurden braun.
    Mithilfe dieser Signaturen hatte Desjardins Stück für Stück begonnen, sich von den Feuern zu lösen und seine Suche auszuweiten. Es war ein reichlich wackliges Konstrukt, aber es hätte ausgereicht, bis Jovellanos eine neue Herangehensweise eingefallen wäre. In der Zwischenzeit wäre es besser gewesen als nichts.
    Bis zu diesem Augenblick. Jetzt wäre alles besser als das. Denn jetzt deutete alles darauf hin, dass ßehemoth einen zehn Kilometer langen Streifen an der Küste von Oregon beherrschte.
     
    Als er in sein Apartment zurückkehrte, hatte sich Sudbury bereits für die Nacht herausgeputzt: Ein Gewirr aus Neon-, Natrium- und Laserlicht fiel durch die Fenster herein, wenn auch deutlich matter, seit die neuesten Beschränkungen in Kraft getreten waren. Mandelbrot lief ihm zwischen die Beine, als er das Apartment betrat, stolzierte dann in die Küche und maunzte in Richtung des Futterspenders. Der Spender, der auf

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