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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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eines Schwebelifters in einer verzweifelten Umarmung gemeinsam abgestürzt waren.
    Es war kein Gewerbelifter auf einem Routineflug gewesen. Er hatte in den Archiven nachgesehen. Offiziell war während des Jahrhundertbebens nichts in den Pazi fik gestürzt, denn – offiziell – war da nichts gewesen, was hätte abstürzen können. Der Lifter war heimlich ins Explosionszentrum geschickt und dort abgeschossen wor den.
    Es ergab keinen Sinn, dass dieselbe Behörde für beides verantwortlich sein sollte.
    Das deutete eher auf verschiedene Interessengruppen hin, die sich miteinander im Widerstreit befanden. Und die sich offenbar nicht einig darüber gewesen waren, was genau zum Wohle der Allgemeinheit (oder um die Interessen der herrschenden Klasse zu wahren , was Jovellanos' Ansicht nach der Sinn und Zweck des Schuldgefühls war) getan werden musste. Irgendjemand in der bürokratischen Stratosphäre – jemand, der deutlich mehr über ßehemoth wusste als Achilles Desjardins – hatte versucht, die Rifter vor dem Erdbeben zu evakuieren. Offensichtlich waren diese Leute der Ansicht gewesen, dass präventiver Mord im Namen der Eindämmung nicht gerechtfertigt war.
    Und jemand anderes hatte sie aufgehalten.
    Auf welcher Seite stand Rowan? Wer hatte recht?
    Er hatte Jovellanos nichts von dem Tauchboot erzählt. Es war ihm sogar beinahe gelungen, das Ganze aus seinem eigenen Gedächtnis zu löschen, alles schön einfach zu halten und sich auf die Maus vor ihm zu konzentrieren, bis der Wal am Horizont nur noch eine kaum wahrnehmbare, verschwommene Silhouette war. Im Hinterkopf hatte er jedoch stets gewusst, dass das nicht allzu lange gut gehen konnte. Früher oder später würden sie einen verlässlichen Index finden, irgendeine Kombination aus Fernmesswerten, Bodenfeuchtigkeit und pH-Wert, die eindeutig auf den Eindringling hinweisen würde. Aber er hatte nicht erwartet, dass es so schnell gehen würde. Sie hatten mit alten Daten gearbeitet: Bodenproben aus Schiffswerften, die mit industriellen Abwässern verseucht waren, mögliche Verbreitungsgebiete, die höchstens drei oder vier Hektar groß waren. Das Signal-Rausch-Verhältnis allein hätte sie wochenlang aufhalten müssen.
    Aber es war keine besonders hohe Auflösung nötig, um ein Verbreitungsgebiet zu erkennen, das zehn Kilometer umfasste. Desjardins hatte den Blick gesenkt gehalten, und der Wal am Horizont war direkt in ihn hineingerauscht.
    Mandelbrot stand in der Tür und streckte sich. Sie fuhr die Krallen aus wie winzige Krummsäbel.
    »Du hättest damit keine Probleme«, sagte Desjardins. »Du würdest dich immer für den maximalen Schaden entscheiden, nicht wahr?«
    Mandelbrot schnurrte.
    Desjardins vergrub das Gesicht in den Händen. Himmel, was mache ich jetzt? Soll ich etwa selbst herausfinden, was zu tun ist?
    Mit einiger Überraschung wurde ihm bewusst, dass ihm diese Aussicht früher nicht ganz so absurd vorgekommen wäre.

Drogerie
    »Amitav.«
    Mit einem Ruck erwachte er, ein in eine Decke gehülltes Skelett auf dem Sand. Grau und verschwommen im sichtbaren Licht kurz vor der Morgendämmerung, heiß und leuchtend im Infrarotbereich. Seine tief liegenden Augen strahlten Hass in allen Wellenlängen aus.
    Sou-Hon Perreault blickte aus drei Metern Höhe auf ihn hinunter. Gut genährte Flüchtlinge, die um Amitav herum erwacht waren, rückten von ihm ab und ließen ihn im Mittelpunkt eines offenen Kreises zurück.
    Einige andere – größtenteils Jugendliche, die etwas weniger robust wirkten als die übrigen Flüchtlinge – blieben in der Nähe stehen und blickten mit unverhohlenem Argwohn zu der Mechfliege hoch. Perreault blinzelte unter ihrem Headset. Sie hatte noch nie zuvor so viele feindselige Gesichter in der Zone gesehen.
    »Wie angenehm«, sagte Amitav mit leiser Stimme, »aufzuwachen und einen großen, runden Hammer über dem Kopf schweben zu sehen.«
    »Tut mir leid.« Sie flog die Mechfliege ein wenig zur Seite und bewegte die Trimmungsklappen auf und ab, um eine wacklige, mechanische Verbeugung anzudeuten (und fragte sich dabei, ob Amitav das mit bloßem Auge überhaupt sehen konnte). »Ich bin's, Sou-Hon.«
    »Wer sonst«, sagte der Knochenmann spöttisch und stand auf.
    »Ich …«
    »Sie ist nicht hier. Ich habe sie schon seit einer Weile nicht mehr gesehen.«
    »Ich weiß. Ich wollte mit Ihnen reden.«
    »Ah. Und worüber?« Der Knochenmann ging zum Strand hinunter. Seine …
    Freunde? Anhänger? Leibwächter?
    … wollten ihm folgen, doch

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