Mahlstrom
los und ergriff die Flucht.
Der Fahrstuhl spuckte ihn im Eingangsbereich aus und entließ ihn wieder in die wirkliche Welt. Schluchten aus Glas und Metall ragten überall um ihn herum auf, und die Straße war in Zwielicht getaucht. So tief in den Eingeweiden der Innenstadt von Sudbury war die Sonne höchstens eine Stunde am Tag zu sehen.
Er fuhr zu Pickering's Pile hinab, auf der Suche nach vertrauten Gesichtern, fand jedoch niemanden. Gwen hatte ihm am schwarzen Brett des Pile eine Einladung hinterlassen, und er wäre beinahe darauf eingegangen …
Hallo, befreundetes Säugetier! Ich weiß, das ist nicht gerade das, was dir vorschwebt, aber ich möchte einfach nur mit dir reden, okay? Ich habe da diesen Ort gefunden, der noch nicht abgefackelt worden ist. Noch wissen sie nicht einmal, dass er existiert, aber es wird nicht mehr lange dauern. Er ist riesig, größer, als er eigentlich sein sollte. Und im selben Moment, wenn ich es ihnen melde, werden ein paar hunderttausend Menschen in Asche verwandelt …
… aber das Schuldgefühl stieg schon bei dem Gedanken an solch einen Verstoß gegen die Vorschriften wie Galle in seiner Kehle auf. Es kribbelte in seinen Fingerspitzen, bereit, sofort die Kontrolle über seine motorischen Nerven zu übernehmen, sollte er nach dem Keypad greifen. Früher hatte er hin und wieder versucht, ihm zuvorzukommen – ein müßiges Experiment, ohne die tatsächliche Absicht, sich zu widersetzen –, doch selbst damals war das Schuldgefühl zu schnell für ihn gewesen. Der Wille ist Teil des Unterbewusstseins. Jeder Befehl ist bereits den halben Arm hinuntergewandert, ehe der kleine Mann hinter den Augen auch nur die Entscheidung trifft, ihn zu bewegen. Zusammenfassungen bereits vollendeter Tatsachen , dachte Desjardins. Das ist alles, was wir erhalten. Das ist es, was man freien Willen nennt.
Er fuhr wieder zur Oberfläche hinauf und machte sich auf den Weg zur nächsten Rapitrans-Station. Und als er dort angekommen war, lief er einfach weiter. Seine neu verknüpften grauen Zellen, die immer noch auf Hochbetrieb liefen, fügten unbarmherzig jedes irrelevante Hintergrunddetail zu einem Netz aus Wechselbeziehungen zusammen: Tageszeit vs. Bewölkung vs. aktueller Fahrzeugstrom vs. Verkaufsautomaten in der Nähe, die nicht aufgefüllt waren …
Wie, in GottesNamen, konnte das passieren? Die Flora und Fauna der Gegend hatte Millionen Jahre Zeit gehabt, sich an ihre Umgebung anzupassen. Wie konnte sie von etwas überwältigt werden, das sich am Grunde des gottverdammten Ozeans entwickelt hatte?
Er kannte die Standardantwort. Die kannte jeder. Die vergangenen fünf Jahrhunderte waren eine sich immer mehr beschleunigende Litanei von Invasionen gewesen. Ganze Ökosysteme waren vernichtet und durch Exoten ersetzt worden, die ihr mangelndes Alter durch extreme Zähigkeit wettmachten. Allein in N'AmPaz gab es über siebzigtausend Neophyten, und N'AmPaz ging es noch besser als den meisten anderen Ländern. Die Wahrscheinlichkeit, auf Außerirdische zu stoßen, war größer, als einem von Australiens ausgestorbenen Beuteltieren außerhalb einer Genbank zu begegnen.
Aber das hier war etwas anderes. Agakröten, Stare und Wandermuscheln mochten sich wie Unkraut vermehren und die Welt mit ihren Nachkommen füllen, aber selbst sie hatten ihre Grenzen. Eine Eydrilla würde man nicht auf dem Gipfel des Mount Everest finden, und Feuerameisen würden niemals auf dem Juan-de-Fuca-Meeresrücken heimisch werden. Chemie, Druck, Temperatur – zu viele Hindernisse, zu viele physikalische Extreme, die die Zellen eines komplexen Eindringlings in Stücke reißen würden.
Eine erdölfarbene Silhouette versperrte ihm den Weg: ein menschlicher Schatten mit leeren weißen Augen. Desjardins schreckte hoch und starrte für einen Moment, der sich endlos hinzuziehen schien, in das ausdruckslose Gesicht der Gestalt. Unaufgefordert reduzierte seine Wetware die Erscheinung zu einem Punkt in einer Datenwolke, von der er nicht einmal gewusst hatte, dass er sie sammelte: halb registrierte Sichtungen während des täglichen Pendelns. Schwarze Gestalten im Hintergrund von Aufnahmen von Menschenmengen, die in N'AmWire zu sehen gewesen waren. Modebanner, die die neuesten Trends in feuchtem Mitternachtsschwarz anpriesen.
Rafter-Chic , hatte sie gesagt. Solidarität durch Mode. Ist im Moment total in.
Und das alles im Bruchteil einer Sekunde. Die Erscheinung wich ihm aus und ging dann weiter ihres Weges.
Während er
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