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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Amitav winkte ab. Perreault flog mit der Mechfliege neben ihm her, während sein Gefolge hinter ihm zurückblieb. Zu beiden Seiten regten sich anonyme Bündel im grauen Zwielicht – zusammengerollt auf Thermoschaum und in wärmespeichernde Stoffe gehüllt – und murrten verärgert über die Störung.
    »Letzte Nacht wurde ein Cycler mutwillig beschädigt«, sagte Perreault. »Ein paar Kilometer weiter nördlich von hier. Wir müssen hinfliegen und das Gerät ersetzen.«
    »Ah.«
    »Es ist seit Jahren das erste Mal, dass so etwas passiert ist.«
    »Und wir beide wissen, woran das liegt, nicht wahr?«
    »Die Menschen sind auf diese Maschinen angewiesen. Sie haben ihnen das Essen aus dem Munde gestohlen.«
    »Ich? Ich habe das getan?«
    »Es gab eine Menge Zeugen, Amitav.«
    »Die Ihnen bestätigen können, dass ich nichts damit zu tun hatte.«
    »Sie haben mir gesagt, dass es ein paar Jugendliche gewesen seien. Und diese wiederum haben mir verraten, wer sie zu dem Ganzen angestiftet hat.«
    Der Knochenmann drehte sich um und blickte die Maschine neben sich an. »Und all diese Zeugen, von denen Sie sprechen? All diese armen Menschen, denen ich das Essen weggenommen habe. Keiner von ihnen hat einen Finger gerührt, um die Vandalen aufzuhalten? So viele Menschen, und sie konnten nicht einmal zwei Jungs daran hindern, ihnen das Essen aus dem Mund zu stehlen?«
    Im Schutz ihres Interface seufzte Perreault. In über tausend Klicks Entfernung gab die Mechfliege das als ein Schnauben wieder. »Was haben Sie eigentlich gegen die Cycler?«
    »Ich bin kein Idiot.« Amitav ging weiter zum Strand hinunter. »Es sind nicht nur Eiweiße und Kohlenhydrate, mit denen Sie uns da füttern. Lieber würde ich verhungern, als Gift zu essen.«
    »Antidepressiva sind kein Gift! Die Dosierung ist sehr gering.«
    »Und so viel bequemer, als sich mit der Wut echter Menschen auseinandersetzen zu müssen, nicht wahr?«
    »Wut? Warum sollten sie wütend sein?«
    »Meinen Sie etwa, wir sollten Ihnen dankbar sein?« Das Skelett spuckte aus. »Waren es etwa unsere Maschinen, die alles zerstört haben? Haben wir vielleicht die Dürren und Überschwemmungen ausgelöst und unsere eigenen Häuser unter Wasser gesetzt? Und danach, als wir über den Ozean hierhergekommen sind – wenn wir nicht schon vorher verhungert sind oder von der Sonne geröstet wurden oder an all den Würmern und anderen Dingen krepiert sind, die Sie mit Ihren Drogen unbesiegbar gemacht haben –, nachdem es uns also hierher verschlagen hat, sollen wir etwa dankbar dafür sein, dass Sie uns auf diesem kleinen Dreckflecken schlafen lassen? Sollen wir Ihnen dafür danken, dass es bisher einfach kostengünstiger war, uns unter Drogen zu setzen, als uns auszumerzen?«
    Inzwischen hatten sie das Wasser erreicht. Die Brandung toste unsichtbar in der dunklen Ferne. Amitav hob seinen knochigen Arm und deutete auf das Meer hinaus. »Manchmal, wenn jemand da hineingeht, wird er von den Haien gefressen.« Seine Stimme war plötzlich sehr ruhig. »Und die anderen an Land kopulieren und scheißen einfach weiter und ernähren sich von Ihren wunderbaren Maschinen.«
    »So … sind die Menschen nun einmal, Amitav. Jeder denkt nur an sich.«
    »Diese Drogen sind also angeblich gut für uns?«
    »Sie sind nicht im Geringsten schädlich.«
    »Dann mischen Sie sich die also auch in Ihr eigenes Essen?«
    »Nein. Aber ich bin ja auch nicht …«
    … Teil eines eingesperrten, verzweifelten Mobs, der aus vierzig Millionen Menschen besteht …
    »Sie sind eine Lügnerin«, sagte der Knochenmann ruhig. »Eine Heuchlerin.«
    »Sie stehen kurz vor dem Verhungern, Amitav. Sie werden sterben.«
    »Ich weiß, was ich tue.«
    »Tatsächlich?«
    Er blickte wieder zu der Mechfliege hoch, und dieses Mal wirkte er beinahe amüsiert. »Was glauben Sie, was ich vorher gewesen bin?«
    »Wie bitte?«
    »Bevor ich … hierhergekommen bin. Oder dachten Sie etwa, ich hätte es mir ausgesucht, ein Umweltflüchtling zu sein?«
    »Nun, ich …«
    »Ich war Pharmaingenieur«, sagte Amitav. Er tippte sich gegen die Schläfe. »Sie haben sogar hier oben an mir herumgeschraubt, damit ich meinen Job besser erledigen konnte. Ich bin also nicht vollkommen unwissend, was Fragen der Ernährung angeht. Es gibt so etwas wie eine … eine Mindestdosis für die Wirksamkeit der Droge, nicht wahr? Wenn ich nur sehr wenig esse, dann können mir Ihre Gifte nichts anhaben.« Er hielt inne. »Werden Sie jetzt also versuchen, mich zu meinem

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