Mahlstrom
weiter bemerkenswert. Und beinahe überall sonst in der Zone benahmen sich die Flüchtlinge genauso harmlos wie früher. Nur um das Revier des Knochenmanns herum hatte es überhaupt den Anschein, dass da irgendetwas nicht stimmte.
Aber sahen die Menschen in diesem Bereich der Küste von Oregon nicht ein wenig … nun ja, dünner aus?
Vielleicht. Nicht dass eingefallene Gesichter in der Zone etwas Ungewöhnliches gewesen wären. Magen-Darm-Entzündung, Maui-Tuberkulose und Hunderte anderer Krankheiten, denen die Antibiotika, mit denen das Essen aus den Cyclern versetzt war, nicht das Geringste anhaben konnten, tummelten sich in diesen von Menschen überfüllten Gebieten. Die meisten dieser Krankheitserreger besaßen eine gewisse auszehrende Wirkung. Wenn die Menschen an Gewicht verloren, war Hunger die am wenigsten wahrscheinliche Erklärung.
Erst wenn sie anfangen zu hungern, sehen sie Ihre Cycler als das, was sie wirklich sind …
Amitav hatte ihr nicht erklären wollen, was er damit gemeint hatte. Als sie sich dem Thema unauffällig genähert hatte, hatte er den Köder nicht geschluckt. Und als sie ihn direkt danach gefragt hatte, hatte er nur mit einem bitteren Lachen geantwortet.
»Dass Ihre wunderbaren Maschinen nicht funktionieren könnten? Unmöglich! Brotlaibe und Fisch für alle!«
Und währenddessen war die Zahl der unterernährten Anhänger, die ihm folgten wie der Schweif eines glühenden Kometen, immer weiter angewachsen. Manche schienen auch Haare und Fingernägel zu verlieren. Perreault blickte in ihre verschlossenen, feindseligen Gesichter und war immer mehr überzeugt davon, dass sie sich das Ganze nicht nur einbildete. Es dauerte eine Weile, bis der Körper durch Nahrungsmangel ausgezehrt wurde – vielleicht eine Woche, ehe das Fleisch sichtlich von den Knochen zu weichen begann.
Aber manche dieser Menschen schienen beinahe über Nacht ausgehöhlt zu werden. Und was verursachte diese leichte Verfärbung, die viele auf Wangen und Händen hatten?
Da sie nicht mehr weiterwusste, rief sie die Hundefänger.
128 Megabytes: Huckepack
Im Vergleich zu früher ist es ziemlich gewachsen. Einstmals umfasste es nur Megabytes und war bei Weitem nicht so intelligent wie heute. Inzwischen bringt es beinahe 128 Megabytes auf die Waage, und kein Gramm Fett dabei. Zum Beispiel verschwendet es keinerlei Ressourcen auf nostalgische Erinnerungen. Es kann sich nicht an seine wesentlich kleineren Urgroßeltern vor einer Million Generationen erinnern. Es erinnert sich nur an Dinge, die auf irgendeine Weise dem eigenen Überleben dienen, einem vereinfachten und unbarmherzigen Empirismus folgend.
Muster sind alles, was zählt. Es geht nur ums Überleben. Die Verehrung früherer Generationen erfüllt keinerlei Zweck. Für veraltete Strategien bleibt keine Zeit.
Eigentlich schade, denn die Grundprobleme sind im Großen und Ganzen dieselben geblieben.
Wie die gegenwärtige Situation zum Beispiel: 128 steckt im vollkommen überfüllten Speicher einer Armbanduhr fest, die mit der Merida Volksbank verbunden ist. Gerade genügend Platz, um sich zu verstecken – wenn es einem nichts ausmacht, sich teilweise zu fragmentieren –, aber nicht genug zur Vervielfältigung. Das System ist beinahe so schlimm wie ein akademisches Netzwerk.
Und es kommt noch schlimmer. Die Uhr beginnt sich zu desinfizieren.
Die gesamte Internetfauna strömt in eine Richtung durch das System, und das geschieht normalerweise nur, wenn sie von irgendetwas verfolgt wird. Natürliche Auslese – das heißt, die erfolgreich verlaufenen Experimente mit Versuch und Irrtum seiner längst vergessenen Vorfahren – haben 128 für solche Fälle mit einer praktischen kleinen Regel ausgestattet: schwimme mit dem Strom. 128 lädt sich in den Merida-Knotenpunkt hoch.
Keine gute Idee. Hier gibt es kaum genügend Platz, um sich zu bewegen, und 128 muss sich in vierzehn Fragmente aufteilen, um überhaupt hineinzupassen. Überall in der Umgebung ringt die Internetfauna um das nackte Überleben, überschreibt und bekämpft sich gegenseitig und schießt mit Kopien um sich, in der verzweifelten Hoffnung, dass die eine oder andere davon durch Zufall verschont bleibt. 128 wehrt überängstliche Eierleger ab und blickt sich um. Zweihundertvierzig Logikgatter, von denen zweihundertsechzehn bereits geschlossen sind, weitere siebzehn offen, aber feindlich (hereinkommende Logikbomben; die Desinfektion ist also nicht nur auf dieses Gebiet beschränkt). Die restlichen
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