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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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eine ganze Nacht lang gewartet? Verdammt noch mal, Killjoy, was ist los mit dir? Wir müssen die Kavallerie rufen, und zwar sofort .«
    Er starrte sie an. »Seit wann bist du denn der Feuerwehr beigetreten? Du weißt, was passieren wird, sobald wir das denen da oben melden. Wir wissen nicht einmal, was ßehemoth für eine Wirkung hat …«
    Ihr Gesichtsausdruck ließ ihn augenblicklich innehalten.
    Er sank in seinen Stuhl. Die Anzeige warf blutrotes Licht auf ihn. »Ist es so schlimm?«
    »Schlimmer«, sagte sie.
     
    Ein unregelmäßiger Regenbogen, eine Kette aus aneinandergereihten Perlen, die sich um sich selbst wand: Purine oder Pyrimidine oder Nukleinsäuren oder weiß der Teufel, was das alles war. ßehemoths Quellcode. Oder jedenfalls ein Teil davon.
    »Das ist nicht einmal eine Helix«, sagte er schließlich.
    »Der Strang besitzt einen ganz leichten Linksdrall. Aber das ist nicht entscheidend.«
    »Was dann?«
    »Das ist Pyranosyl-RNA. Sie besitzt deutlich stärkere Watson-Crick-Paare, als man sie normalerweise in RNA findet, und sie ist wesentlich selektiver, was die Paarungsmöglichkeiten angeht. Sequenzen mit hohem Guanin-Anteil finden zum Beispiel nicht von selbst zusammen. Es handelt sich um einen sechsseitigen Ring.«
    »Deutsch bitte, Alice. Was bedeutet das?«
    »Es repliziert sich viel schneller als das Zeug in deinen Genen, und es macht dabei weniger Fehler.«
    »Aber was bewirkt es?«
    »Es ist einfach nur am Leben, Killjoy. Es lebt und frisst. Und ich glaube, dass es dabei effizienter ist als jedes andere Lebewesen auf der Erde. Wir können es also entweder vernichten oder uns von unserer gesamten Biosphäre verabschieden.«
    Er konnte es nicht glauben. »Eine einzige Mikrobe? Wie ist das überhaupt möglich?«
    »Zum einen besitzt sie keine Fressfeinde. Ihre Zellwand ist nicht einmal richtig organisch; eigentlich besteht sie nur aus einigen Schwefelverbindungen. Erinnerst du dich noch daran, dass manche Bakterien aus umgekehrten Aminosäuren bestehen, die sie unverdaulich machen? Das hier ist noch zehn Mal schlimmer – die meisten Lebewesen, die dieses Mistvieh fressen könnten, würden es wegen all der Minerale nicht einmal als etwas Essbares erkennen.« Desjardins biss sich auf die Unterlippe.
    »Es kommt noch besser«, fuhr Jovellanos fort. »Dieses Ding ist ein richtiges Schwarzes Loch, was die Schwefelaufnahme angeht. Ich weiß nicht, wo es diesen Trick gelernt hat, aber es holt sich das Zeug direkt aus unseren Zellen . Irgendeine Art Lysteriolysin-Analogon verhindert wohl, dass seine Zellmembran durch Lysine zerstört wird. Dadurch werden der Glukosetransport, die Eiweißsynthese und der Kohlenhydratstoffwechsel behindert – verdammt, dadurch wird so ziemlich alles lahmgelegt.«
    »Es besteht kein Mangel an Schwefel, Alice.«
    »Oh, im Augenblick gibt es davon noch jede Menge. Wir furzen das Zeug aus. Niemand hat sich bisher auch nur die Mühe gemacht, eine empfohlene Tagesdosis dafür festzulegen. Aber dieses, dieses ßehemoth , es braucht Schwefel noch viel dringender als wir. Und es vermehrt sich rascher und frisst schneller. Glaub mir, Killjoy, in ein paar Jahren wird nicht mehr genug von dem Zeug übrig sein, und dieses kleine Mistvieh beherrscht den ganzen Markt.«
    »Aber das ist doch …« Ein Strohhalm stieg aus seinem Innern auf, und er klammerte sich daran fest. »Wie kannst du dir so sicher sein? Du hast ja nicht einmal geglaubt, dass die Probe sämtliche Bestandteile enthält.«
    »Ich habe mich geirrt.«
    »Aber … du hast gesagt, es gäbe keine Phospholipide und keine …«
    »Es besitzt diese Dinge einfach nicht. Es hat sie nie besessen.«
    »Wie bitte?«
    »Es ist denkbar einfach aufgebaut. So einfach, dass es so gut wie unzerstörbar ist. Keine doppelschichtigen Membranen, keine …« Sie breitete resigniert die Hände aus. »Ja, ich habe geglaubt, sie hätten vielleicht die Probe verfälscht, um zu verhindern, dass ich hinter ihre Betriebsgeheimnisse komme. Dass sie vielleicht sogar ein bisschen was herausgefiltert haben, auch wenn das natürlich völlig hirnrissig wäre. Aber Firmenbosse haben schon blödsinnigere Dinge getan. Ich habe mich geirrt.« Sie fuhr sich mit der Hand nervös durch die Haare. »Die Probe war vollständig. Sämtliche Bestandteile waren vorhanden. Und weißt du, was ich glaube, weshalb sie sie durch den Fleischwolf gedreht haben? Ich glaube, sie hatten Angst vor dem, was dieses Ding anrichten könnte, wenn sie es unversehrt

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