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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Doch nichts geschah. Sie ging ins Bett und starrte eine halbe Ewigkeit an die Decke. Sie bemerkte kaum, als Martin sich zu ihr gesellte, natürlich ohne sie zu drängen .
    Wer ist Lenie Clarke? Was ist Lenie Clarke?
    Mit Sicherheit jedenfalls mehr als nur eine zufällige Überlebende. Mehr als ein Götze , den Amitav für seine Zwecke benutzen konnte. Und sogar mehr noch als die aufrührerische Legende, für die Perreault sie ursprünglich gehalten hatte, die die ganze Zone in ihren Bann zog. Wie viel mehr, wusste sie nicht.
    Sie ist immer noch auf freiem Fuß. Les beus suchen wahrscheinlich nach ihr .
    Auf irgendeine Weise war Lenie Clarke ins Netz gelangt.

Gespenst
    Der Anblick der Leiche hatte Tracy Edison nicht weiter aus der Fassung gebracht. Das war nicht Mami gewesen, es hatte nicht einmal wie ein Mensch ausgesehen. Es war nur ein zermatschter Körper, der von Verputz und Zement bedeckt gewesen war. Das Auge, das quer durch das Zimmer zu ihr herübergestarrt hatte, besaß zwar die richtige Farbe, aber es konnte nicht das Auge ihrer Mami gewesen sein. Die Augen ihrer Mami saßen im Kopf.
    Außerdem war keine Zeit geblieben, sich das Ganze genauer anzuschauen, denn Papa hatte sie auf den Arm genommen und sie ins Auto gesetzt (sogar auf den Vordersitz!). Und dann waren sie weggefahren, ohne noch einmal anzuhalten. Tracy hatte zurückgeschaut, und das Haus hatte von außen eigentlich gar nicht so schlimm ausgesehen, außer der einen Mauer und dem Stück hinter dem Garten. Aber dann waren sie um die Ecke gebogen, und das Haus war verschwunden.
    Danach waren sie direkt durchgefahren. Papa wollte nicht einmal anhalten, um etwas zu essen zu holen – dort, wo sie hinfuhren, gäbe es genug zu essen, sagte er, und sie mussten sich beeilen, um dorthin zu gelangen, »bevor die Mauer herabgesenkt wird.« Er redete ständig über solche Dinge. Darüber, dass sie die Welt in lauter kleine Ausstechförmchen unterteilen , und dass all die exotischen Unkräuter und Bakterien nur ein Vorwand waren, um die ganze Bevölkerung in kleine Enklaven einzusperren . Mami hatte immer gesagt, dass sie es erstaunlich fand, wie er sich ständig neue Verschwörungstheorien ausdenken konnte. Aber Tracy hatte das Gefühl, dass die gegenwärtigen Ereignisse ihrem Papa irgendwie recht gaben. Allerdings war sie sich nicht ganz sicher. Es war alles ganz schön verwirrend.
    Es hatte lange gedauert, bis sie die Berge erreicht hatten. Viele Straßen waren aufgerissen und voller Geröll, sodass man auf ihnen nicht fahren konnte, und andere waren bereits vollkommen mit Autos, Bussen und LKWs verstopft. Es waren so viele, dass ihr Auto nicht einmal wütende Blicke auf sich zog, wie sonst immer, weil die Leute nicht wissen, dass ich draußen im Wald arbeite, Schatz, und wenn sie sehen, dass wir unser eigenes Auto haben, halten sie uns einfach nur für verschwenderisch und selbstsüchtig . Papa nahm jede Menge Seitenstraßen, und ehe Tracy es sich versah, waren sie bereits hoch oben in den Bergen. Weit und breit nur alte Kahlschlagsflächen, die von Kohlenstoff fressendem grünem Kudzu überwuchert waren. Und Papa hatte immer noch nicht angehalten, nur hin und wieder einmal, wenn Tracy pinkeln musste, und einmal, als er unter ein paar Bäume gefahren war und gewartet hatte, bis einige Hubschrauber vorbeigeflogen waren.
    Sie hatten erst wieder angehalten, als sie hier angekommen waren, an dieser kleinen Blockhütte im Wald in der Nähe eines Sees – ein Gletschersee , hatte Papa erklärt. Er hatte gesagt, dass es am Grunde der Täler in den Bergen viele dieser Blockhütten gab. Vor langer Zeit seien Parkwächter auf Pferden umhergeritten und hätten für Ordnung gesorgt und jeden Tag in einer anderen Blockhütte übernachtet. Heutzutage war es normalen Menschen natürlich nicht mehr gestattet, den Wald zu betreten, deswegen brauchte man auch keine Parkwächter mehr. Aber ein paar der Blockhütten wurden immer noch für Besucher instand gehalten, für Biologen, die in die Wälder gingen, um die Bäume und das alles zu studieren.
    »Wir machen hier so was wie Urlaub«, sagte ihr Papa. »Wir improvisieren einfach ein bisschen und gehen jeden Tag wandern, erforschen die Gegend und spielen ein wenig, bis sich zu Hause alles wieder beruhigt hat.«
    »Wann wird Mami hier sein?«, fragte Tracy.
    Ihr Papa blickte auf die braunen Kiefernnadeln hinab, die überall auf dem Boden lagen. »Mami ist weg, Limaböhnchen«, sagte er nach einer Weile. »Wir beide werden

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