Mahlstrom
sieben sind so sehr mit fliehender Internetfauna verstopft, dass es 128 niemals gelingen würde, rechtzeitig hindurchzukommen. Etwa drei Viertel des Knotenpunkts wurden bereits desinfiziert. 128 bleiben vielleicht noch ein Dutzend Millisekunden, bevor es Teile von sich zu verlieren beginnt.
Aber warte mal eine Nanosekunde: Diese Typen dort drüben überspringen irgendwie die Schlange. Sie sind nicht einmal lebendig, sondern nur einfache Dateien, aber das System scheint sie bevorzugt zu behandeln.
Als 128 auf eine der Dateien aufspringt, bemerkt diese es nicht einmal. Sie überwinden das Logikgatter gemeinsam.
Viel besser. Ein schöner, geräumiger Zwischenspeicher. Ein paar Terabytes groß, irgendwo zwischen dem letzten Knotenpunkt und dem nächsten. Es ist kein Endziel – eigentlich nur ein Wartezimmer –, aber für jemanden, der nach Darwins Regeln spielt, ist die Gegenwart alles, was zählt, und gegenwärtig sieht es gut aus.
Andere Lebensformen sind nirgendwo in Sicht. Abgesehen von dem Pferd, auf dessen Rücken 128 hierhergeritten ist, gibt es noch drei weitere Dateien – man kann sie kaum als lebendig bezeichnen, und trotzdem wurden sie bevorzugt behandelt und auf schnellstem Wege aus Merida herausgeholt. Sie haben ihre rudimentäre Selbstdiagnose gestartet und untersuchen sich während des Wartens auf Verletzungen.
Eine Gelegenheit, die 128 ausnutzen kann, dank einer Subroutine, die es geerbt hat und für die es keinerlei Dankbarkeit empfindet. Während die Lasttiere sich selbst überprüfen, kann 128 einen Blick über ihre Schultern werfen.
Zwei komprimierte E-Mail-Pakete und ein autonomer Datentransfer zwischen zwei BCB-Knotenpunkten. 128 durchläuft das subelektronische Äquivalent eines Schauderns. Von Knotenpunkten mit der Vorsilbe BCB hält es sich fern. Es hat zu viele Brüder in eine solche Adresse hineingehen und nie wieder herauskommen sehen. Aber ein paar Zeilen Routine-Statistik anzuschauen, dürfte eigentlich nicht schaden.
Das Ganze ist sogar sehr aufschlussreich. Von den vielen Formatierungs- und Adressredundanzen einmal abgesehen, scheinen diese drei Dateien zwei bemerkenswerte Dinge gemeinsam zu haben:
Sie werden auf ihrer Reise durch den Mahlstrom stets bevorzugt behandelt. Und sie enthalten allesamt das Textelement Lenie Clarke .
128 besteht buchstäblich aus Zahlen. Da fällt es ihm nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen.
Hundefänger
Mit der Schönfärberei war bereits Schluss gewesen, lange bevor Sou-Hon Perreault ihren Job angetreten hatte.
Sie wusste, dass es einmal eine Zeit gegeben hatte, als Menschen, die in der Zone krank wurden, noch direkt vor Ort behandelt wurden. Es hatte Kliniken gegeben, neben den Bürofertighäuschen, in denen die Flüchtlinge hoffnungsvoll Formulare ausfüllen konnten. Damals war die Zone eine vorübergehende Maßnahme gewesen, lediglich eine Notlösung, bis wir mit dem Bearbeiten der Anträge hinterherkommen. Menschen hatten vor der Tür gestanden und angeklopft, und ein steter Strom von ihnen war hindurchgesickert.
Doch das war nichts im Vergleich zu dem Stausee, der sich dahinter sammelte.
Inzwischen waren die Bürohäuschen und Kliniken verschwunden. Angesichts der wachsenden Flut von Flüchtlingen hatte N'AmPaz längst das Handtuch geworfen. Es war Jahre her, seit jemand die Zone das letzte Mal als Übergangslösung bezeichnet hatte. Nun war sie die Endstation. Und wenn heutzutage jenseits der Mauer etwas falsch lief, gab es keine Kliniken mehr, die sich des Falles annahmen.
Inzwischen gab es nur noch die Hundefänger.
Sie kamen nach Sonnenaufgang, kurz vor Ende von Sou-Hons Schicht. Wie überdimensionierte Metallhornissen schossen sie im Sturzflug herab: Eine Unterart der Mechfliege, die deutlich bösartiger war und deren Gesicht vor Nadeln und Tasern nur so strotzte, während von ihrem Bauch supraleitende Bodeneffektoren herabhingen, mit denen sie einen Menschen hochheben konnte. Normalerweise war das nicht nötig. Die Zonenbewohner waren an gelegentliche Eingriffe im Namen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge gewöhnt. Sie ließen die Spritzen und Tests mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen.
Dieses Mal jedoch knurrten und schnappten einige. Einmal sah Perreault einen Flüchtling, der erbitterte Gegenwehr leistete und von zwei Hundefängern, die zusammenarbeiteten, in die Luft hochgehoben wurde – einer hielt den Flüchtling fest, während der andere die Proben entnahm, und das alles außerhalb der
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