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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Zeugen. Zumindest darin hatten die Kinder eine kluge Wahl getroffen. Es waren keine Schreie zu hören, nur ein leises Aufkeuchen und das Knacken auseinanderbrechender Rückenwirbel. Kein sinnloses Betteln um Gnade. Nur eines der Mädchen versuchte überhaupt, etwas zu sagen, vielleicht von der Erkenntnis ermutigt, dass sie von einer Minute zur nächsten in eine Situation geraten war, wo sie nichts mehr zu verlieren hatte.
    »Monge de la morde, enculé« , krächzte sie, als Lubin die Hand nach ihr ausstreckte. »Wer zum Teufel ist gestorben und hat dich zu Lenie Clarke gemacht?«
    Lubin blinzelte. »Wie bitte?«
    Das Mädchen spuckte ihm Blut ins Gesicht und starrte ihn mit ausdruckslosen weißen Augen trotzig an.
    Nun , dachte Lubin, vielleicht hätte für dich ja doch noch Hoffnung bestanden. Und damit drehte er ihr den Hals um.
     
    Das Ganze hatte natürlich etwas Beunruhigendes an sich. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Lenie Clarke berühmt war.
    Er fragte den Matchmaker nach Hinweisen auf Lenie Clarke . Der Mahlstrom rülpste einmal und riet ihm dann, seine Suchkriterien zu präzisieren: Es gab über fünfzig Millionen Treffer.
    Er begann, weitere Nachforschungen anzustellen.
    Lenie Clarke war eine Anarchistin. Lenie Clarke war eine Erlöserin. Sie war eine Modeikone, ein Racheengel, der aus den Tiefen des Ozeans auferstanden war, um das System zum Einsturz zu bringen, das sie missbraucht und schikaniert hatte. Lenie Clarke besaß Anhänger; im Augenblick noch hauptsächlich in N'AmPaz, doch die Nachricht verbreitete sich weiter. Horden von desillusionierten, machtlosen Menschen hatten jemanden gefunden, mit dem sie sich identifizieren konnten – ein Opfer wie sie, mit undurchdringlichen Augen, das gelernt hatte, sich zu wehren. Wogegen genau, darüber bestand keine Einigkeit. Und auch von den Mitteln, mit denen der Kampf geführt werden sollte, war nicht die Rede. Lenie Clarke war eine Meerjungfrau. Lenie Clarke war ein Mythos.
    Lenie Clarke ist tot , musste sich Lubin ins Gedächtnis rufen. Aber keiner der Hinweise, auf die er stieß, schien das zu bestätigen.
    Vielleicht hatte sie doch überlebt. Die NB hatte ihnen schließlich ein Shuttle versprochen, mit dem Beebe evakuiert werden sollte. Lubin hatte das – wie die anderen auch – für eine Lüge gehalten. Clarke war die Einzige gewesen, die in der Station geblieben war, um es herauszufinden.
    Vielleicht hatten sie alle überlebt. Vielleicht ist irgendetwas geschehen, nachdem ich von ihnen getrennt wurde …
    Der Vollständigkeit halber gab er einzelne Anfragen ein: Alice Nakata, Michael Brander und Judy Caraco. Der Mahlstrom kannte viele Leute mit diesen Namen, doch keiner von ihnen schien so viel Ansehen zu besitzen wie Lenie Clarke. Er schickte dieselbe Liste in die Zuflucht hinein. Die Ergebnisse waren eindeutiger, die Daten von besserer Qualität, doch das Resultat blieb das gleiche.
    Lenie Clarke war die Einzige. Irgendetwas mit diesem Namen infizierte die ganze Welt.
    »Lenie Clarke ist am Leben«, sagte eine Stimme in seinem Ohr.
    Er kannte sie. Es war einer der körperlosen Matchmaker , die in der Zuflucht unterwegs waren, um die Fragen von Benutzern zu beantworten. Verwirrt warf Lubin einen Blick auf seine Anzeige. Er hatte keine Suchanfrage eingegeben.
    »Es ist beinahe sicher«, fuhr die Stimme in distanziertem, monotonem Tonfall fort. »Lenie Clarke lebt. Temperatur und Salzgehalt bewegen sich im akzeptablen Bereich.«
    Die Stimme hielt inne.
    »Sie sind Kenneth Lubin. Sie sind ebenfalls am Leben.«
    Lubin unterbrach die Verbindung.
     
    Anonymität. Das war der Sinn des Ganzen.
    Lubin kannte die Vorschriften im Ridley-Komplex und in ähnlichen Einrichtungen, die unsichtbar über die ganze Welt verteilt waren. Hier wurden keine Pupillen oder Gesichter gescannt. Es wurde lediglich sichergestellt, dass Eintretende keinen Schaden anrichten konnten. In den Röhren aus Milchglas im vierzehnten Stock war jeder gleich. Jedermann war ein Niemand. Und dennoch hatte irgendjemand in der Zuflucht ihn gerade mit seinem Namen angesprochen.
    Er verließ Santa Cruz.
    Im Packard Tower in Monterey gab es einen weiteren sicheren Zugang. Dieses Mal ging Lubin kein Risiko ein: Er klinkte sich über drei miteinander verbundene Armbanduhren in das Terminal ein, von denen jede auf andere Weise verschlüsselt war. Er startete erneut eine Anfrage nach Lenie Clarke und achtete dabei darauf, nicht dieselben Fragebäume zu verwenden wie beim letzten Mal.
    »Lenie

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