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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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lief, mitten durch Perreaults Wahrnehmungsfeld. Doch in diesem Feld war die Frau ein Ziel, das von einem leuchtenden Fadenkreuz eingerahmt war. Unbekannte Icons blinkten zu beiden Seiten, mit Wahlmöglichkeiten wie ENTSICHRN, BETÄUBN oder TÖTN.
    Perreault war in eine Art Arsenal eingeklinkt, und sie zielte damit direkt auf Lenie Clarke.
    Die Rifterin hatte sich unter die Einheimischen gemischt. Sie trug Zivilkleidung, ihr eisiger Blick wurde von einem Visor verdeckt, und Perreault hätte sie niemals erkannt, hätte sie sich lediglich auf menschliche Augen verlassen müssen. Doch die Mechfliegen konnten ein breiteres Spektrum erfassen, und diese hier sah einen grellbunten Ort, an dem von einem halben Dutzend Quellen elektromagnetische Strahlung ausging. Clarke befand sich allerdings in nächster Nähe und direkt in Sichtweite, und in der Mauer hinter ihr verliefen keine Stromkabel. Vor diesem relativ dunklen Hintergrund flackerte ihr Brustkorb wie ein Schwarm trübe leuchtender Glühwürmchen.
    »Ich will Ihnen nichts tun«, sagte Perreault. Aus den Augenwinkeln sah sie die Waffenicons vorwurfsvoll blinken. Sie fand ein etwas dunkleres Icon mit der Bezeichnung SICHERN und drückte darauf. Das Arsenal wurde heruntergefahren.
    Clarke rührte sich nicht und sprach kein Wort.
    »Ich bin nicht … Mein Name ist Sou-Hon. Ich gehöre nicht zur Polizei. Ich bin … Ich glaube …« Sie warf kurz einen Blick auf die GPS-Anzeige: Calgary. Der zentrale Busbahnhof von Glenmore.
    Irgendetwas hatte sie gerade tausenddreihundert Kilometer nach Nordosten versetzt.
    »Ich wurde hierher geschickt«, schloss sie. »Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube … um Ihnen zu helfen.« Sie war sich bewusst, wie absurd das klang.
    »Zu helfen?« Eine ausdruckslose Stimme, die keinerlei Gefühlsregung verriet.
    »Warten Sie einen Moment …« Perreault stieg mit der Fliege über die Greyhound-Busse auf und vollzog eine kurze 360°-Drehung. Sie befand sich über einer Andockbucht, in der die Busse in Reihen schliefen und an den Anschlussbuchsen nuckelten. Vierzig Meter von ihr entfernt war das Hauptterminal zu sehen, aus dessen Seiten erhöhte Laderampen herausragten. Zwei Busse wurden gerade entladen. Die animierten Windhunde an ihren Seiten rannten und rannten, ohne irgendwo anzukommen, als würden sie sich auf einem unsichtbaren Laufband befinden.
    Und dort bei den Dekontaminationsständen: ein kleines Grüppchen aufgebrachter Menschen. Die Nachwehen einer Auseinandersetzung. Perreault rief die Black Box der Fliege auf und sah sich im Schnelldurchlauf die letzten Minuten an. Plötzlich näherte sie sich in komisch wirkendem Zeitraffer einem erst vor kurzem ausgebrochenen Aufruhr. Allerdings war die Show bereits vorbei, die ersten Leute wandten sich schon wieder vom Geschehen ab. Aber dort stand Lenie Clarke, einen ebenholzfarbenen Elektroschocker in der Hand. Ihr gegenüber standen ein Mann, der die Arme abwehrend erhoben hatte, und ein kleines Mädchen mit weit aufgerissenen Augen, das sich hinter seinen Beinen versteckte.
    Perreault ließ die Aufzeichnung langsamer ablaufen. Der Mann trat in Echtzeit einen Schritt zurück.
    »Lady, ich habe Sie noch nie zuvor gesehen …«
    Clarke machte einen Schritt nach vorn, doch jede Aggressivität war aus ihrer Haltung gewichen. Stattdessen wirkte sie unsicher. »Ich … ich dachte, Sie …«
    »Im Ernst, Lady. Sie sind eine ziemlich kaputte, kleine Schimäre …«
    »Geht es dir gut, Kleine?« Der Zauberstab in ihrer Hand zitterte. Die andere Hand hatte sie vorsichtig ausgestreckt. »Ich wollte dich nicht erschr …«
    »Geh weg!«, heulte das Kind.
    Der Vater blickte hoch, von einer Bewegung über ihm abgelenkt. »Wollen Sie sich mit jemandem anlegen?«, knurrte er an die Meerjungfrau gewandt. »Dann versuchen Sie es doch mal mit der da!« Er deutete direkt auf die näherkommende Fliege.
    Sie war geflohen. Die Drohne war ihr gefolgt, bewaffnet und hungrig.
    Und nun hatte aus irgendeinem Grund Sou-Hon Perreault das Kommando über die Mechfliege.
    Perreault steuerte die Fliege wieder zwischen die Busse hinab. »Im Augenblick sind Sie sicher. Sie …«
    Die Sackgasse war leer.
    Sie vollzog eine 180°-Drehung; etwas verschwand um eine Ecke herum außer Sichtweite.
    »Warten Sie! Sie verstehen nicht …«
    Perreault gab Gas. Einen Moment lang geschah nichts. Dann schien ein Rucken durch ihr ganzes Wahrnehmungsfeld zu gehen, bis in die Bogengänge hinein. Eine Anzeige flackerte oben rechts in

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