Maienfrost
ich mich mit allen die Akten betreffenden Fragen direkt an Sie wenden kann. Also zögern Sie nicht länger – es gibt ohnehin keine Alternative.«
Leona musste ihm Recht geben. Nachdem sie sich von Doktor Probst verabschiedet hatten, folgte sie dem Kommissar in ihrem Wagen nach Lobbe. Erleichtert stellte sie fest, dass sich zu vorgerückter Stunde die Verkehrssituation entkrampft zu haben schien. Problemlos passierten sie den Rügendamm und kamen auch auf der Insel zügig vorwärts. Nach einer knappen Stunde, es ging auf zweiundzwanzig Uhr zu, hatten sie Mönchgut erreicht. Leona staunte über das große Grundstück ihres Gastgebers. Neugierig folgte sie ihm zu seinem inmitten des Gartens liegenden Häuschen, das mit seinem neuen Anstrich und dem frisch gedeckten Strohdach einem Kleinod glich. Es war von verschieden farbig blühenden Malven und einem Spalier aus Sonnenblumen umgeben. Gleich neben der Tür, umrahmt von all der Blütenpracht, stand eine Gartenbank. Ein tiefer Friede lag über dem im Dämmerlicht liegenden Stück Erde. »Schön haben Sie es hier«, zeigte Leona sich beeindruckt.
Während Henning die Haustür aufschloss, fragte er sich, ob sie auch noch so begeistert gewesen wäre, wenn sie das Haus in seiner ursprünglichen Form gesehen hätte.
Ihr vorangehend, führte der Kommissar die junge Frau in das unterm Dach liegende Gästezimmer – einer schmalen Kammer mit schrägen Wänden, die neben Bett und Schrank kaum Platz für weitere Möbelstücke bot. Anschließend zeigte er ihr, wo sich das Badezimmer befand. Bevor er nach unten ging, um das Abendessen vorzubereiten, bat er sie, sich ganz wie zu Hause zu fühlen.
Als sein Gast wenig später zu ihm in die Küche trat, hatte er bereits eine Kanne Kräutertee gekocht, Brot abgeschnitten und mit Aufschnitt und Käse belegt. Nachdem Henning die mit Petersilie garnierten Scheiben auf einer Platte arrangiert und diese zusammen mit Tellern und Tassen auf ein Tablett geschichtet hatte, ging er Leona voran nach draußen. Im Garten angekommen, begann er den vor der Gartenbank aufgestellten Klapptisch einzudecken. Als alles gerichtet war, bat er seinen Gast Platz zu nehmen. Mittlerweile war die Dämmerung der Dunkelheit der Nacht gewichen. Um etwas sehen zu können, hatte Henning ein Windlicht aufgestellt. Es sorgte für romantische Stimmung, zog allerdings auch zu Scharen die Mücken an. Aufgrund der lästigen Quälgeister hielt es sie nicht allzu lange im Freien. Als sie gegessen hatten, schlug der Kommissar vor, sich zur Ruhe zu begeben.
Gemeinsam gingen sie nach oben. Während Leona augenblicklich in einen tiefen traumlosen Schlaf fiel, vertiefte Henning sich in Alberi Pirells Unterlagen. Von ihrem Inhalt gefesselt, bemerkte er gar nicht, wie die Zeit verging und draußen bereits ein neuer Tag herauf zu grauen begann.
Blass und hohläugig, sein Aussehen der durchwachten Nacht geschuldet, nahm der Kommissar am nächsten Morgen seinem Gast gegenüber am Frühstückstisch Platz. Bei seiner zweiten Tasse Kaffee eröffnete er der jungen Frau, dass er sich nach Einsicht der Akten zu einem Entschluss durchgerungen habe. »Ich werde in die Sächsische Schweiz fahren«, ließ er sie wissen.
Leona zeigte sich erstaunt. »Glauben Sie wirklich, dass das nach all der Zeit noch irgendeinen Sinn ergibt?«
»Um mir genau darüber Klarheit zu verschaffen, will ich mich ja an den Schauplatz des vor dreizehn Jahren verübten Verbrechens begeben.«
»Aber weshalb? Ich meine, gibt es einen Grund, der Sie davon ausgehen lässt, mehr zu erreichen als mein Großvater? Glauben Sie, er könnte etwas übersehen haben?«
»Nicht doch! Ich würde mir niemals anmaßen, die Kompetenz Ihres Großvaters in Frage zu stellen. Allerdings war er Arzt und kein Kriminologe. Alles was ich will ist, mich vor Ort noch einmal umzuhören. Ich denke, wir sollten nichts unversucht lassen.«
8
Nachdem er Leona davon überzeugen konnte, für die Zeit seiner Abwesenheit bei ihm wohnen zu bleiben, ging Henning mit ihr noch einmal Punkt für Punkt der Akten durch. Danach packte er ein paar Sachen zusammen und machte sich reisefertig. Bevor er aufbrach, rief er seinen Freund Wilhelm an, um ihn zu bitten, sich um die Tiere zu kümmern. Ein weiteres Telefonat galt Peer. Der Kommissar verständigte ihn von seinen Plänen und versprach, in Kontakt mit ihm zu bleiben. Noch am selben Tag fuhr er nach Lohmen, einer am nordwestlichen Rand der Sächsischen Schweiz gelegenen Gemeinde.
Nach seiner Ankunft
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