Maienfrost
ich schon sorgen.«
»Und wie, wenn ich fragen darf, wollten Sie das anstellen?«
»Ganz einfach! Ich musste mich nur darum kümmern, dass ihre füreinander bestimmten Briefe nicht beim Empfänger ankamen. Um das zu erreichen, fuhr ich nach Pirna zur damaligen SED-Kreisleitung. Dort angekommen, brauchte ich David nur noch zu denunzieren, ihm zu unterstellen, er plane, Carmen zur Republikflucht zu überreden.
Um noch glaubwürdiger zu erscheinen, behauptete ich, dass die beiden an einem Fluchtplan arbeiten würden. Das war zwar erlogen, aber es wirkte. Schließlich fuhr ich mit dem Wissen nach Hause, dass ihr Briefkontakt boykottiert werden würde. Was im Klartext bedeutete, dass die Briefe der beiden an der Grenze abgefangen und vernichtet wurden. Außerdem hatte das Ganze den unschätzbaren Vorteil, dass David mit sofortiger Wirkung die Einreise in die DDR verweigert wurde. So hatte ich endlich Ruhe vor ihm und brauchte nicht mehr zu befürchten, dass er mir gefährlich werden und meine Zukunftspläne mit Carmen gefährden könnte.«
Henning konnte nicht glauben, was er da soeben zu hören bekam. Angewidert fragte er sich, wie ein Mensch zu so viel Niedertracht fähig sein konnte.
»Wissen Sie überhaupt, was Sie den beiden damit angetan haben? Außerdem würde mich interessieren, weshalb Sie dauernd den Eindruck zu erwecken versuchen, dass Carmen Ihr Mädchen war? So viel mir bekannt ist, waren Sie beide doch lediglich gute Freunde.«
»Mag sein, dass wir nie ein Liebespaar waren. Aber das lag nur daran, dass mir erst David und später dann dieser Pascal Austen dazwischenfunkte. Ich beging den unverzeihlichen Fehler, Carmen nicht rechtzeitig zu gestehen, was ich für sie empfinde. Mit etwas mehr Mut wäre sicher alles anders gekommen und mit ein wenig Glück wäre sie heute meine Frau.«
»Tja, das liebe Wörtchen wäre. Wenn es das nicht gäbe, sähe unser Leben mit Sicherheit anders aus. Aber leider existiert es nun einmal. Anstatt mit dem, einem jeden von uns auferlegten Schicksal zu hadern, sollten wir lieber versuchen es anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Und Fakt ist nun einmal, dass Carmen Ihnen zu keiner Zeit berechtigte Hoffnungen machte. Ich finde es daher äußerst hinterhältig, um nicht zu sagen schäbig, was Sie ihr und David angetan haben.«
»Sie können das nicht verstehen. Keiner kann das! Ich bin beinahe verrückt geworden vor Schmerz! Carmen verkörperte all meine Wünsche. Ich vergötterte sie! Ich hätte den Boden auf dem sie ging, küssen mögen, doch sie, was tat sie? Hatte nichts Besseres zu tun, als mich zu hintergehen, zu demütigen und zu betrügen! Carmen wusste meine Liebe schamlos auszunutzen!«
Micha hatte sich in Rage geredet. Die hektisch roten Flecken auf seinem Gesicht hatten sich verstärkt. Henning musste sich angewidert abwenden. Er glaubte keinen Augenblick länger in dieses selbstherrliche Gesicht sehen, die Anwesenheit dieses arroganten Widerlings ertragen zu können. Ohne sein Dazutun ballten sich seine im Schoss ruhenden Hände zu Fäusten. Am liebsten wäre er aufgestanden und gegangen. Doch noch gab es Fragen, die einer Antwort harrten.
Obwohl es ihn große Überwindung kostete, erkundigte sich Henning nach jenem Tag des Jahres 1990, an dem David Küster unerwartet aufgetaucht war. »Können Sie sich noch des Abends besinnen, als er plötzlich vor Ihrer Tür stand?«
»Wie könnte ich den jemals vergessen. Schließlich war es Carmens Hochzeitstag, ihr standesamtlicher wohl gemerkt. Die kirchliche Trauung sollte am darauf folgenden Tag stattfinden. In meiner Verzweiflung versuchte ich meinen Schmerz zu ertränken. Als es mich gegen Mitternacht sternhagelvoll nach Hause gedreht brachte, nahm ich nur noch verschwommen wahr, dass wir Besuch hatten. Ohne Rücksicht auf meinen gehörigen Kater schickte meine Mutter mich am nächsten Morgen zum Bäcker, um Brötchen zu holen. Dort erfuhr ich, dass unser Pfarrer erkrankt sei.«
»Und um sich an den beiden zu rächen«, ergänzte Henning, »schlugen Sie vor, die kirchliche Trauung der Austens von David übernehmen zu lassen. Sie haben ihn ins offene Messer rennen lassen. Ich schätze mal, er wusste nicht, wem sein Segen gelten sollte, stimmt’s?«
»Allerdings. Es war meine Art der Rache. Ich dachte, in die entgeisterten Gesichter der beiden zu sehen, während sie vorm Altar stünden, würde mich für die mir angetane Schmach entschädigen.«
»Aber dem war nicht so?«
»Nein, die erhoffte Genugtuung
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