Maigret 17
wiederholen und noch zehn Jahre so warten können. Jaja schnaufte nur und drückte das Kinn auf die Brust.
»Mein Gott! Wenn ich gewußt hätte …«
Maigret konnte kaum mehr an sich halten. Er erhob sich und ging im Zimmer auf und ab und brummte:
»Es hilft Ihnen nichts …«
Sylvie, die dasaß wie eine Statue, versetzte ihn langsam in Wut. Ein-, zwei-, dreimal ging er nah an ihr vorbei, sie saß da wie angenagelt.
»Ich habe Zeit. Nur …«
Beim vierten Mal konnte er sich nicht mehr beherrschen. Seine Hände packten die Schulter der jungen Frau. Er war sich der Härte des Griffes gar nicht bewußt.
Sie hob einen Arm und hielt ihn vors Gesicht, wie ein kleines Mädchen, das Angst hat, geschlagen zu werden.
»Also?!«
Unter dem Schmerz gab sie nach, brach in Tränen aus und schrie:
»Sie Rohling! Sie gemeiner Kerl! Ich sage überhaupt nichts! Nichts! Gar nichts!«
Jaja wurde ganz krank davon. Maigret ließ sich mit unnachgiebiger Miene auf einen Stuhl fallen. Sylvie weinte weiter, ohne ihr Gesicht in den Händen zu verbergen, ohne sich die Augen auszuwischen. Sie heulte eher vor Wut als vor Schmerz.
»Nichts!« stieß sie noch einmal mechanisch zwischen zwei Schluchzern hervor.
Die Tür zum Lokal ging auf, was höchstens einmal täglich vorkam, ein Gast lehnte sich an die Theke und betätigte den Spielautomaten.
7
Die Anweisung
M
aigret erhob sich gereizt, und um ein mögliches Manöver der beiden Frauen zu vermeiden – der »Gast« konnte ja zum Beispiel ein Bote von Joseph sein –, ging er lieber selbst in die Bar.
»Was wollen Sie?«
Der andere machte einen so ratlosen Eindruck, daß der Kommissar trotz seiner miserablen Laune beinahe gelacht hätte. Es war ein grauhaariger, langweiliger Kerl von unbestimmtem Alter, der sich wohl, bevor er hier vorbeikam, von zügelloser Erotik träumend durch die Straßen geschlichen hatte. Und nun tauchte ein bärbeißiger Maigret hinter der Theke auf!
»Ein Bock«, stotterte er und ließ den Griff am Spielautomaten los.
Hinter dem Tüllvorhang steckten die zwei Frauen die Köpfe zusammen. Jaja fragte Sylvie aus, und sie antwortete ihr müde.
»Bier gibt’s hier nicht.«
Jedenfalls konnte Maigret in Reichweite keins entdecken.
»Dann irgendwas anderes … einen Port.«
Er bekam ins nächstbeste Glas irgendeine Flüssigkeit eingeschenkt und nahm nur einen kleinen Schluck davon.
»Wieviel?«
»Zwei Francs!«
Maigret ließ seinen Blick über die noch von der Sonne heiße Straße wandern, die kleine Bar gegenüber, in der sich verschwommen Gestalten bewegten, und das Hinterzimmer, wo sich Jaja wieder auf ihren Platz setzte.
Der Gast ging hinaus. Er fragte sich sicher, in welche Höhle er da hineingestolpert war. Maigret kam wieder ins Hinterzimmer und setzte sich rittlings auf seinen Stuhl.
Jajas Verhalten hatte sich etwas geändert. War sie zuvor verängstigt gewesen und wußte offenbar nicht, was sie denken sollte, so war ihre Angst jetzt eine konkrete geworden. Sie sah Sylvie an und überlegte, zugleich voller Mitleid und etwas grollend. Sie sah aus, als würde sie sagen: ›Was für ein Unfug, sich in eine solche Situation zu bringen! Jetzt können wir sehen, wie wir da wieder rauskommen.‹
Laut sagte sie:
»Sie wissen ja, Herr Kommissar – die Männer sind so …«
Überzeugt klang es nicht, und sie merkte es. Sylvie merkte es auch. Sie machte eine wegwerfende Geste.
»Er hat sie heute morgen bei der Beerdigung gesehen. Und da wird er eben Lust auf sie gekriegt haben. Er ist so reich, und …«
Maigret seufzte, zündete sich eine neue Pfeife an und blickte zu dem kleinen Fenster hinauf.
Es herrschte eine düstere Stimmung. Jaja hatte beschlossen zu schweigen, um nicht alles noch schlimmer zu machen. Sylvie weinte nicht mehr, sie tat überhaupt nichts, sie wartete nur ab, man konnte nicht erraten, was.
Nur der kleine Wecker tickte emsig weiter und ließ auf dem milchigweißen Zifferblatt seine schwarzen Zeiger weiterwandern, die für ihn fast zu schwer aussahen.
Ticktack, ticktack, ticktack …
Jedes Geräusch klang überlaut. Eine weiße Katze, die im Hof umherschlich, setzte sich vors Kellerfenster.
Ticktack, ticktack, ticktack …
Jaja war für solche Szenen nicht geschaffen. Sie stand auf und holte eine Flasche Schnaps aus dem Wandschrank, füllte drei Gläser, schob eins Maigret hin und eins Sylvie, als ob alles so wäre wie immer.
Nur sagte sie nichts.
Die zwanzigtausend Francs lagen immer noch auf dem Tisch neben der
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