Maigret 17
und ihnen einen Veilchenstrauß anbot, nahm ihn Maigret entgegen, reichte ihn seiner Begleiterin, wühlte gelangweilt in seinen Taschen, und als am wenigsten damit zu rechnen war, ergriff er die Handtasche.
»Sie erlauben doch? Ich habe kein Kleingeld …«
Es geschah so schnell und so selbstverständlich, daß sie keine Zeit hatte zu protestieren. Kaum daß ihre Finger flüchtig nach dem Verschluß der Tasche griffen.
Das kleine Mädchen wartete artig und holte inzwischen einen neuen Strauß aus seinem Korb. Maigret suchte unter einem dicken Bündel von Hundertfrancscheinen nach Kleingeld.
»Wir gehen«, sagte er und stand auf.
Auch er war nervös. Er hatte es eilig wegzukommen, den neugierig auf ihn gerichteten Blicken zu entfliehen.
»Und jetzt gehen wir der lieben Mama Jaja einen Besuch abstatten.«
Sylvie ging folgsam mit ihm, etwas anderes konnte sie nicht mehr tun. Sie unterschieden sich nun in nichts mehr von anderen Paaren, die vorübergingen, außer daß Maigret sorglich die Tasche seiner Begleiterin in Verwahrung hatte.
»Gehen Sie vor!«
Sie betrat über die Stufe hinunter die Bar und steuerte auf die Glastür im Hintergrund zu. Durch den Tüllvorhang war der Rücken eines Mannes zu sehen, der beim Eintreten von Sylvie und Maigret ruckartig aufstand.
Es war Jan, der schwedische Steward, der bis über die Ohren rot anlief, als er Maigret wiedererkannte.
»Sie schon wieder? Nun, mein Freund, Sie werden mir jetzt das Vergnügen machen und ein bißchen Spazierengehen.«
Jaja begriff nicht, was los war. Sylvies Gesicht verriet ihr, daß etwas Außergewöhnliches geschehen sein mußte, und auch sie sah den Seemann gern möglichst schnell verschwinden.
»Kommst du morgen, Jan?«
»Ich weiß noch nicht …«
Er hielt seine Mütze in der Hand und wußte nicht, wie er sich verabschieden sollte. Der schwere Blick des Kommissars verwirrte ihn.
»Schon gut, auf Wiedersehn«, sagte dieser ungeduldig, machte die Tür auf, um den Steward hinauszulassen, und schloß sie hinter ihm wieder.
Dann drehte er energisch den Schlüssel um und sagte zu Sylvie:
»Du kannst den Hut abnehmen.«
Jaja riskierte mit schüchterner Stimme die Bemerkung:
»Habt ihr euch zufällig getroffen?«
»Genau! Wir haben uns zufällig getroffen.«
Sie wagte nicht einmal mehr, etwas zu trinken anzubieten, so deutlich spürte sie das drohende Unwetter. Um etwas Fassung wiederzuerlangen, hob sie eine Zeitung vom Boden auf, faltete sie zusammen und sah dann nach einem Topf auf dem Herd.
Maigret stopfte sich in aller Ruhe seine Pfeife. Er ging ebenfalls zum Herd, rollte ein Stückchen Zeitung zusammen und entzündete es am Herdfeuer.
Sylvie war neben dem Tisch stehengeblieben, sie hatte ihren Hut abgenommen und ihn vor sich hingelegt.
Maigret setzte sich, öffnete die Handtasche und blätterte die Geldscheine nebeneinander auf den Tisch, zwischen den schmutzigen Gläsern.
»… achtzehn … neunzehn … zwanzigtausend Francs!«
Jaja hatte sich umgedreht und betrachtete völlig verdutzt die Scheine, dann Sylvie und dann den Kommissar. Sie versuchte überaus angestrengt zu begreifen.
»Was ist …«
»Oh, nichts Besonderes«, knurrte Maigret. »Sylvie hat einen Freier gefunden, der großzügiger ist als die anderen, das ist alles. Und wissen Sie, wen? Harry Brown.«
Er saß am Tisch, als wäre er bei sich zu Hause, die Ellbogen aufgestützt, die Pfeife im Mund, die Melone in den Nacken geschoben.
»Zwanzigtausend Francs für ›mal kurz‹, wie sie sich im Hotel Beauséjour ausdrücken.«
Um Fassung ringend, wischte Jaja ihre Wurstfinger an ihrer Schürze ab. Sie sagte kein Wort mehr, sie war wie vom Donner gerührt.
Sylvie war alles Blut aus den Adern gewichen, sie blickte mit verzerrten Gesichtszügen vor sich hin ins Leere und wartete, daß das Schicksal seinen Lauf nahm.
»Du kannst dich hinsetzen!« stieß Maigret hervor.
Sie gehorchte mechanisch.
»Du auch, Jaja. Warte, gib erst mal saubere Gläser her.«
Sylvie saß auf demselben Platz wie tags zuvor beim Essen mit dem offenen Morgenrock und den nackten Brüsten vorm Teller.
Jaja stellte eine Flasche und Gläser auf den Tisch und setzte sich auf die vordere Stuhlkante.
»So. Ich warte, Kinder.«
Der Rauch seiner Pfeife stieg langsam zu dem bläulichen Kellerfenster hinauf, das die Sonnenstrahlen nicht mehr erreichten. Jaja sah Sylvie an.
Und Sylvie, abwesend oder verstockt, blickte ins Leere und sagte kein Wort.
»Ich warte.«
Er hätte es noch hundert Mal
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