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Maigret 17

Maigret 17

Titel: Maigret 17 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simenon
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Kunden abpassen konnte.
    Endlich öffnete sich die Glastür am Ende des Ganges im Hoteleingang, und Sylvie lief so schnell auf den Gehsteig hinaus, daß sie beinahe mit Maigret zusammengeprallt wäre.
    »Guten Tag«, sagte er.
    Sie erstarrte. Noch nie hatte sie so blaß ausgesehen, und als sie den Mund öffnete, kam kein Laut heraus.
    »Zieht sich Ihr Begleiter noch an?«
    Sie drehte den Kopf nach allen Seiten wie ein Wetterhahn auf der Kirchturmspitze und ließ die Tasche aus der Hand fallen. Maigret hob sie auf. Sie riß sie ihm buchstäblich aus der Hand, als würde sie fürchten, daß er sie öffnen könnte.
    »Auf einen Augenblick!«
    »Entschuldigen Sie, aber ich werde erwartet. Wenn Sie wollen, können wir zusammen gehen …«
    »Eben das möchte ich nicht. Und schon gar nicht in diese Richtung.«
    Sie war eher rührend als hübsch mit ihren großen Augen, die das ganze Gesicht beherrschten. Es war zu spüren, daß sich eine krankhafte Nervosität ihrer bemächtigt hatte, eine Angst, die ihr den Atem nahm.
    »Was wollen Sie von mir?«
    Sie wäre ganz offensichtlich am liebsten davongerannt. Um sie daran zu hindern, nahm Maigret ihre Hand und behielt sie in der seinen. Für die Bäcker gegenüber konnte es wie eine zärtliche Geste aussehen.
    »Ist Harry immer noch oben?«
    »Wie? Ich verstehe nicht …«
    »Also, dann warten wir zusammen auf ihn. Vorsicht, Kleine! Machen Sie keine Dummheiten und lassen Sie die Handtasche, wo sie ist.«
    Maigret hatte sie an sich genommen. Durch den Seidenstoff glaubte er so etwas wie ein Bündel Banknoten zu spüren.
    »Machen Sie jetzt bloß keinen Aufstand. Einige Leute beobachten uns schon.«
    Passanten kamen vorbei und nahmen sicher an, daß Maigret und Sylvie nur den Preis aushandelten.
    »Ich flehe Sie an …«
    »Nein.«
    Und leiser fügte er hinzu: »Wenn Sie keine Ruhe geben, lege ich Ihnen Handschellen an!«
    Sie riß vor Schreck die Augen noch weiter auf, dann senkte sie, entmutigt oder weil sie einsah, daß sie nichts ausrichten konnte, den Kopf.
    »Harry scheint es nicht eilig zu haben, herunterzukommen.«
    Sie sagte nichts, sie versuchte weder zu leugnen noch eine Erklärung abzugeben.
    »Sie kennen ihn also?«
    Sie standen in der prallen Sonne. Sylvies Gesicht war schweißnaß.
    Sie schien verzweifelt nach einer Eingebung zu suchen, die sich nicht einstellen wollte.
    »Hören Sie …«
    »Ja, ich höre.«
    Aber sie änderte ihre Meinung und sagte überhaupt nichts mehr. Sie nagte nur nervös an ihrer Unterlippe herum.
    »Wartet Joseph irgendwo auf Sie?«
    »Joseph?«
    Sie geriet zunehmend in Panik. Nun ertönten Schritte auf der Treppe im Hotel. Sylvie zitterte und wagte nicht, einen Blick in den in Dunkel getauchten Gang zu werfen.
    Die Schritte kamen näher. Sie hallten auf den Fliesen wider. Die Glastür öffnete und schloß sich wieder, und plötzlich war alles still.
    Harry Brown war im Halbdunkel kaum zu erkennen, aber er hatte von dort aus, wo er stand, Maigret und Sylvie gesehen. Es ging alles sehr schnell. Er lief weiter und ging unverfroren, ohne innezuhalten, in aufrechter Haltung mit einem kurzen Gruß an Maigret vorbei.
    Dieser hielt noch immer Sylvies leblose Hand in der seinen, aber wenn er Brown einholen wollte, den sie nur noch von hinten sahen, mußte er sie loslassen.
    Was für eine komische Szene spielte sich ab vor den Schaufensterscheiben der Bäckerei!
    »Kommen Sie mit!« rief er seiner Begleiterin zu.
    »Wollen Sie mich verhaften?«
    »Darüber machen Sie sich jetzt mal keine Gedanken.«
    Er mußte so schnell wie möglich telefonieren, aber er durfte um keinen Preis Sylvie sich selbst überlassen. Er ging in eins der Cafés, die es hier in der Gegend gab, und zog das junge Mädchen mit sich in die Telefonzelle.
    Einige Sekunden später hatte er Inspektor Boutigues am anderen Ende der Leitung.
    »Gehen Sie sofort ins Hotel Provençal. Sagen Sie Harry Brown höflich, aber bestimmt, daß er Antibes nicht verlassen darf, bevor ich nicht da war. Wenn es sein muß, hindern Sie ihn daran, das Hotel zu verlassen.«
    Sylvie war wie vernichtet. Sie hörte regungslos zu und brachte nicht den geringsten Willen mehr auf, nicht die kleinste Anwandlung von Gegenwehr.
    »Was trinken Sie?« fragte er, als sie sich an einen Tisch setzten.
    »Ist mir egal.«
    Er behielt vor allem die Handtasche im Auge. Der Kellner beobachtete sie, er spürte, daß etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Und als ein kleines Mädchen, das von Tisch zu Tisch ging, zu ihnen kam

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