Maigret 17
reichte es dem Kommissar.
»Hier, lesen Sie. Verstehen Sie Englisch?«
»Nicht besonders gut.«
»Es handelt sich um das Papier, das ich heute nachmittag im Hotel Beauséjour für zwanzigtausend Francs gekauft habe.«
Er setzte sich nieder, als würde er sich jetzt endlich entspannen können.
»Ich muß Ihnen dazu einiges erklären. Kennen Sie Australien? Sehr bedauerlich. Mein Vater besaß dort vor seiner Heirat riesige Ländereien. Groß wie ein französisches Departement. Nach seiner Heirat war er dann einer der größten Schafzüchter Australiens, denn meine Mutter brachte einen fast ebenso großen Besitz mit in die Ehe.«
Harry Brown sprach langsam und bemühte sich, klar und deutlich zu sein und nicht ein Wort zuviel zu verlieren.
»Sind Sie protestantisch?« fragte Maigret.
»Die ganze Familie. Auch mütterlicherseits.«
Er wollte fortfahren, aber Maigret unterbrach ihn.
»Ihr Vater hat nicht in Europa studiert, nicht wahr?«
»Nein. Das war damals noch nicht üblich. Er kam erst nach seiner Heirat nach Europa. Fünf Jahre danach, als er schon drei Kinder hatte.«
Vielleicht stimmte sie nicht, aber Maigret machte sich unwillkürlich eine bildhafte Vorstellung. In groben Zügen entstand ein großes, aber schlicht gebautes Haus inmitten von ausgedehnten Ländereien, bewohnt von strengen und ernsthaften Menschen, die presbyterianischen Pastoren glichen.
William Brown trat in die Fußstapfen seines Vaters, verheiratete sich, zeugte Kinder und kümmerte sich ausschließlich um die Geschäfte.
»Eines Tages mußte er wegen eines Prozesses nach Europa …«
»Reiste er allein?«
»Ja, allein.«
Es war ganz einfach. Paris, London, Berlin, die Côte d’Azur … Und Brown, der plötzlich mit einem kolossalen Vermögen in einer glitzernden Welt voller Verführungen so etwas wie ein König war.
»Er ist nicht mehr zurückgekehrt«, sagte Maigret tief einatmend.
»Nein. Er wollte …«
Der Prozeß zog sich in die Länge. Die Leute, mit denen der Schafzüchter zu tun hatte, führten ihn in Amüsierlokale. Er kam mit Frauen zusammen.
»Zwei Jahre lang zögerte er seine Rückkehr immer wieder hinaus.«
»Wer hat ihn zu Hause geschäftlich vertreten?«
»Meine Mutter. Und ihr Bruder. Es kamen Briefe von verschiedenen Leuten im Land, in denen …«
Das genügte. Maigret wußte mehr als genug. Brown, der nie etwas anderes gesehen hatte als seine Wiesen, seine Schafe, seine Nachbarn und den Pastor, stürzte sich wie ein Besessener ins Gewühl, er leistete sich alle Vergnügungen, von denen er bisher nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte.
Er verschob seine Rückkehr, er zog den Prozeß in die Länge, und als der Prozeß zu Ende war, fand er neue Ausflüchte, um bleiben zu können.
Er kaufte eine Yacht. Er gehörte zu den ganz wenigen Leuten, die sich alles kaufen, alles erlauben konnten.
»Und dann ist es Ihrer Mutter und Ihrem Onkel gelungen, ihn unter Vormundschaft stellen zu lassen …«
Am anderen Ende der Welt setzte man sich schließlich zur Wehr. Gerichtliche Entscheidungen wurden erwirkt. Und eines schönen Morgens erwachte William Brown in Nizza oder Monte Carlo mit einer Unterhaltsrente, und das war alles, was ihm von seinem Vermögen blieb.
»Eine Zeitlang hat er noch Schulden gemacht, und wir haben gezahlt«, sagte Harry.
»Und dann haben Sie nicht mehr gezahlt.«
»Ich habe immerhin weiter eine Pension von fünftausend Francs monatlich gezahlt!«
Maigret hatte das Gefühl, daß das noch nicht alles war. Er verspürte ein leichtes Unbehagen, das er in die plötzliche Frage umsetzte:
»Was haben Sie Ihrem Vater einige Tage vor seinem Tod vorgeschlagen?«
Keine Reaktion bei seinem Gegenüber. Brown ließ sich einfach nicht aus der Ruhe bringen. Er erwiderte mit der gewohnten Selbstverständlichkeit:
»Schließlich hatte er ja trotz allem noch gewisse Rechte, nicht? Seit fünfzehn Jahren erhob er immer wieder Einspruch gegen das Urteil. Das ist ein riesiger Prozeß für unsere Verhältnisse. Fünf Anwälte arbeiten ausschließlich an dem Fall, und solange die Sache in der Schwebe ist, sind uns für bestimmte große Transaktionen die Hände gebunden …«
»Einen Augenblick. Ihr Vater lebte allein in Frankreich und war in Australien durch Juristen vertreten, die seine Interessen verteidigten …«
»Juristen von schlechtem Ruf.«
»Natürlich. Auf der anderen Seite Ihre Mutter, Ihr Onkel, Ihre beiden Brüder und Sie …«
» Yes – äh, ja.«
»Und was haben Sie Ihrem Vater
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