Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Komplexes von Bercy, als es aus ihm herausbrach:
»Dieser dreckige kleine Mistkerl!«
Die letzte Silbe war nicht mehr vernehmbar. Er unterdrückte in seiner Kehle ein Aufschluchzen und würgte daran, bis sie bei seinem Haus angelangt waren.
Der Hafen hatte sich verändert. Die Leute hatten den Chef durch die Scheiben des Taxis hindurch erkannt. Der Schleusenwärter ließ einen Moment seine Kurbel los, um seine Mütze zu ziehen. Auf dem Quai standen Arbeiter herum, als wäre das Leben vorübergehend angehalten. Ein Werkmeister wartete auf der Türschwelle.
»Hast du den Steinbrecher gestoppt?«
»Ich habe gedacht …«
Ducrau ging voran, um die Treppe hochzusteigen. Maigret folgte ihm. Sie hörten von oben, etliche Stockwerke höher, Schritte und Stimmen. Im ersten Stock ging eine Tür auf, und Jeanne Ducrau warf sich in die Arme ihres Mannes. Sie war völlig aufgelöst. Er richtete sie auf, suchte irgendeinen Halt für sie, legte sie schließlich wie ein Paket in die Arme einer dicken, schniefenden Nachbarin.
Er ging weiter nach oben. Merkwürdig, wie er sich dann umdrehte, um sich zu vergewissern, dass Maigret noch da war. Zwischen dem dritten und dem vierten Stock kam ihnen ein Polizeikommissar entgegen, der das Haus eben verlassen wollte und nun, den Hut in der Hand, ansetzte:
»Monsieur Ducrau, ich spreche Ihnen …«
»Mist!«
Er stieß ihn aus dem Weg und lief weiter die Treppe hinauf.
»Kommissar, ich …«
»Gleich«, knurrte Maigret.
»Er hat einen Brief hinterlassen, in dem …«
»Geben Sie her!«
Maigret riss ihm den Brief buchstäblich aus der Hand und schob ihn in seine Tasche. Im Moment war nur eines wichtig: dieser Mann, der da vor ihm mit rasselndem Atem die Treppe erklomm, um endlich vor einer Tür mit Messinggriff anzuhalten, die ihm auch sogleich geöffnet wurde.
Es war ein Mansardenzimmer. Das Licht fiel von oben ein, und in seinen Strahlen wirbelte feiner Staub. Ein Tisch mit Büchern, ein mit dem gleichen roten Samt wie unten bezogener Sessel.
Der Arzt saß am Tisch und war eben im Begriff, einen ersten Bericht zu unterzeichnen. Er konnte nicht rechtzeitig verhindern, dass der Reeder die Decke wegzog, die über die Leiche seines Sohnes gebreitet war.
Ducrau gab keinen Laut von sich. Er schien höchstens verwundert, so, als sehe er etwas Unerklärliches. Und es war auch unerklärlich, von einer sonderbaren Trostlosigkeit, diesen großen mageren Jungen zu sehen, mit dieser furchtbar weißen Haut im Ausschnitt seines blauen, feingestreiften Pyjamas. Am Hals hatte er eine breite bläuliche Strieme. Und dann das übel entstellte Gesicht …
Ducrau beugte sich vor, vielleicht um den Toten zu küssen, tat es aber dann doch nicht. Man hätte meinen können, er habe davor Angst. Er wandte den Blick ab, blickte zur Decke hin, dann seitlich zur Tür.
»An der Dachluke«, sagte der Arzt leise.
Er hatte sich erhängt, frühmorgens, und die Hausangestellte seiner Eltern hatte die Leiche entdeckt, als sie ihm wie üblich das Frühstück aufs Zimmer brachte.
In diesem Moment bewies Ducrau eine unheimliche Geistesgegenwart, indem er sich an Maigret wandte, um ihm zu sagen: »Den Brief!«
Er hatte also während dieses grässlichen Gangs die Treppe hinauf alles gesehen und alles gehört!
Der Kommissar zog den Brief aus der Tasche, und der andere nahm ihn ihm aus der Hand, überflog ihn auf einen Blick, ließ dann die Arme sinken, als sei ihm jetzt alles über.
»Wie kann man nur so dumm sein!«
Das war alles. Und es drückte wohl auch aus, was er dachte. Es kam aus tiefstem Herzen und hatte etwas viel Tragischeres als lange Phrasen.
»Nun lesen Sie schon!«
Jetzt ärgerte er sich auch noch über Maigret, weil der den auf den Boden gefallenen Zettel für seine Begriffe nicht rasch genug aufhob.
Der Mann, der meinen Vater angriff, war ich, und so richte ich mich nun dafür. Mögen mir alle verzeihen. Mama, sei nicht verzweifelt.
Jean
Zum zweiten Mal entfuhr Ducrau dieses gurgelnde Lachen.
»Können Sie sich das vorstellen?«
Er erhob keinen Einspruch, als der Arzt die Leiche wieder zudeckte, und nun wusste er nicht recht, sollte er dableiben oder hinuntergehen, sich setzen oder nicht.
»Und es ist nicht wahr!«, sagte er noch.
Schließlich legte er seine schwere, müde Hand auf Maigrets Schulter.
»Ich habe Durst!«
Seine Wangen waren beinahe violett angelaufen, Schweiß rann ihm über die Stirn, die Haare klebten ihm an den Schläfen. Vielleicht auch, weil es in der
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