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Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Titel: Maigret - 18 - Maigret in Nöten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Mansarde auch noch nach dem Äther roch, den man offenbar für irgendeine in Ohnmacht gefallene Frau gebraucht hatte.

5
    Es war kurz vor neun Uhr am nächsten Morgen, als Maigret im Polizeigebäude eintraf und der Bürogehilfe ihm mitteilte, dass er bereits am Telefon verlangt worden war.
    »Sie haben keinen Namen genannt, werden aber nochmals anrufen.«
    Ganz oben auf dem Poststapel lag eine Dienstmeldung:
     
    Der Hilfsschleusenwärter von Charenton wurde heute früh am Schleusentor erhängt aufgefunden.
     
    Maigret hatte keine Zeit, sich lange zu wundern. Das Telefon klingelte. Er hob ab, brummte irgendetwas und war einigermaßen erstaunt, aus der Stimme am andern Ende der Leitung einen so ungekünstelten Respekt, ja sogar einen Anflug von Schüchternheit herauszuhören.
    »Hallo? Sind Sie es, Kommissar? Hier Ducrau. Wäre es zu viel verlangt, wenn ich Sie bitten würde, gleich zu mir zu kommen? Ich würde mich auch gern selbst bemühen, aber das wäre nicht dasselbe. Hallo? Ich bin nicht in Charenton. Ich bin im Büro, Quai des Célestins 33. Kommen Sie? Danke!«
    Seit zehn Tagen schien jeden Morgen die Sonne, und in der Luft lag so etwas wie ein Vorgeschmack von Johannisbeersaft. Und mehr noch als anderswo spürte man an den Ufern der Seine den Frühling, so dass Maigret, als er am Quai des Célestins eintraf, neidvoll einem Studenten und einigen alten Herren zusah, die in den staubigen Bücherkästen der Bouquinisten wühlten.
    Die Nummer 33 war ein zweistöckiges, schon altes Haus mit mehreren Messingschildern an der Tür. Im Innern herrschte die typische Atmosphäre jener kleinen Stadtpalais, die man in Geschäftsräume verwandelt hatte. An den Türen stand: Kasse – Sekretariat und anderes. Vor dem Kommissar lag eine Treppe, die ins erste Stockwerk hinaufführte, und oben an dieser Treppe erschien Ducrau, gerade als Maigret sich nach jemandem umsah, an den er sich hätte wenden können.
    »Hier entlang, bitte.«
    Er empfing seinen Besucher in einem Salon, der jetzt ein Büro war, aber immer noch seine Stuckdecke hatte, seine Fensterpfeiler und Goldverzierungen, die sich, ältlich und verschossen, wie sie waren, schlecht mit den hellen Holzmöbeln vertrugen.
    »Haben Sie die Schilder unten angesehen?«, fragte Ducrau und forderte Maigret auf, Platz zu nehmen. »Im Erdgeschoss ist die Marne-Kiesgruben-Gesellschaft untergebracht, hier die Betriebsleitung der Schleppkähne und im zweiten Stockwerk die der Binnenhandelsflotte. Alles in allem: Ducrau!«
    Aber er sagte das ohne Stolz, vielmehr so, als ob diese Informationen von Bedeutung wären. Er hatte sich mit dem Rücken zum Licht gesetzt, und Maigret bemerkte, dass er über seiner Jacke aus grobem blauem Stoff einen Trauerflor trug. Er war unrasiert, und sein Gesicht erschien dadurch leicht aufgedunsen.
    Er sagte eine Weile gar nichts, spielte mit seiner erloschenen Pfeife, und Maigret begriff nun, dass es zwei Ducraus gab: den Selbstdarsteller Ducrau, der sich unaufhörlich in Szene setzte, auch vor sich selber, der laut sprach und sich aufblähte, und einen anderen, der dieses selbstgefällige Getue unvermittelt vergaß und einfach nur ein ziemlich schüchterner und linkischer Mann war.
    Allerdings würde er wohl kaum allzu lange in der Rolle des zweiten Ducrau verweilen! Es war für ihn eine Notwendigkeit, immer eine Stufe über der simplen Realität zu stehen, und schon kündete das Sprühen seiner Augen die nächste Selbstinszenierung an.
    »Ich komme so selten wie möglich hierher, denn es gibt hier genug Trottel, die die Arbeit machen, die getan werden muss. Nur war mir heute Morgen nicht recht klar, wohin ich mich noch verziehen könnte.«
    Er nahm Maigret das Schweigen und abwartende Verhalten übel, denn um sein Spiel spielen zu können, brauchte er Reaktionen.
    »Wissen Sie, wo ich die Nacht verbracht habe? In einem Hotel in der Rue de Rivoli! Denn selbstverständlich sind sie alle vollzählig angerückt, die alte Frau Mutter meiner Frau, meine Tochter, ihr Idiot und noch dazu Nachbarn! Sie haben einen regelrechten Trauerzirkus veranstaltet, und da bin ich lieber abgehauen.«
    Was er sagte, war ernst gemeint, aber er war doch recht zufrieden über das Wort Trauerzirkus.
    »Ich hab mich überall herumgetrieben, bis es mir vor mir selbst grauste. Haben Sie den nie, diesen Ekel vor sich selbst?«
    Und übergangslos griff er nach einer mehrere Tage alten Zeitung, die auf dem Tisch lag, erhob sich, stellte sich neben Maigret und hielt ihm die Zeitung

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