Maigret - 18 - Maigret in Nöten
traurig …«
»Hat er getrunken?«
»Zwei oder drei Gläser, aber ihn wirft das nicht um. Er hat zu mir gesagt:
›Wenn du wüsstest, Marthe, wie diese Trottel mich anwidern! Ich sehe jetzt schon, dass ich die ganze Nacht durch die Spelunken ziehen werde. Wenn ich nur daran denke, dass sie sich alle um den Kleinen herumtreiben …‹«
Diesmal musste Maigret nicht schmunzeln, als ihm wieder die wohlbekannten ›Trottel‹ begegneten. Er schaute das schäbige Dekor um sich an, die Tische und Bänke, die Kulissenwand, dann die Frau, die ihren zweiten Enzian in kleinen Schlucken austrank.
»Wissen Sie nicht mehr, um wie viel Uhr er weggegangen ist?«
»Vielleicht um Mitternacht? Vielleicht schon etwas früher? Sagen Sie selbst, ist das nicht ein Unglück, wenn man so viel Geld hat und trotzdem unglücklich ist!«
Und auch das entlockte Maigret kein Lächeln.
6
»Ich bin, und das ist das Merkwürdigste«, schloss Maigret, »überzeugt, dass die Sache ganz einfach ist.«
Er war beim Leiter der Kriminalpolizei. Es war schon nach Büroschluss. Über Paris ging eine purpurne Sonne unter, und der Himmel über der vom Pont-Neuf überspannten Seine war von roten, blauen und ockerfarbenen Schlieren durchzogen. Das Gespräch der beiden Männer, die am Fenster standen und noch vom feierabendlichen Gewimmel der Passanten abgelenkt wurden, plätscherte so dahin.
»Was den guten Mann betrifft …«
Das Telefon klingelte. Der Chef hob ab.
»Guten Abend, Madame. Wie geht es Ihnen? Ich gebe ihn Ihnen gleich.«
Es war Madame Maigret, und sie war ein wenig aufgebracht.
»Du hast vergessen, mich anzurufen. Aber sicher, es war ausgemacht, dass du mich um vier Uhr anrufst. Die Möbel sind bereits angekommen, und ich muss sofort hin. Kannst du nicht gleich kommen?«
Bevor er sich von ihm verabschiedete, erklärte der Kommissar dem Chef:
»Ich hatte ganz vergessen, dass ich umziehe. Das Mobiliar ist schon gestern in einem Möbelwagen weggebracht worden. Und nun soll meine Frau rausfahren, um es in Empfang zu nehmen.«
Der Polizeidirektor zuckte die Achseln, und Maigret, der es bemerkt hatte, blieb unter der Tür nochmals stehen.
»Was wollten Sie sagen, Chef?«
»Dass es Ihnen wie allen andern ergehen wird, das heißt, innerhalb eines Jahres werden Sie wieder irgendwo einsteigen, aber diesmal bei einer Bank oder einer Versicherungsgesellschaft.«
In dem Büro, in dem die Dämmerung sich ausbreitete, herrschte heute Abend eine schwermütige Stimmung, eine ganz leise Melancholie, aber beide taten, als ob sie nichts davon bemerkten.
»Ich schwöre Ihnen, es wird nicht so sein.«
»Bis morgen. Passen Sie auf, dass Sie mit Ducrau keinen Bock schießen, denn der hat doch wohl gut drei Abgeordnete in der Hinterhand.«
Maigret nahm ein Taxi und kam wenige Minuten später in seiner Wohnung am Boulevard Edgar-Quinet an. Seine Frau war sehr geschäftig. Zwei Zimmer waren schon geräumt, und in den andern stapelten sich Pakete auf den Möbeln. In der Küche brutzelte etwas, nicht auf dem Herd, der schon aus dem Haus war, sondern auf einem Gaskocher.
»Kannst du wirklich nicht mitkommen? Morgen Abend könntest du mit dem Zug zurückfahren. Wir sollten doch gemeinsam schauen, wie wir die Möbel platzieren wollen.«
Es war nicht nur unmöglich, sondern Maigret hatte auch keine Lust dazu. Sicher würde es ihm komisch vorkommen, in diese verödete Wohnung zurückzukehren, die sie auf immer verlassen würden, aber noch merkwürdiger erschien ihm, was seine Frau da alles zum Mitnehmen bereitstellte, und vor allem, was sie, während sie sich gleichzeitig an diesem und jenem zu schaffen machte, vor sich hin plapperte.
»Hast du die Klappsessel gesehen? Sie sind heute geliefert worden. Wie spät hast du? Madame Bigaud hat wegen der Möbel angerufen. Das Wetter sei wunderbar, und die Kirschbäume sollen in voller Blüte stehen, über und über weiß. Die Ziege, von der sie gesprochen hatte, will der Besitzer nicht verkaufen, aber wenn sie dieses Jahr Junge hat, will er uns eines davon geben.«
Maigret nickte und lächelte dazu, aber er war gar nicht bei der Sache.
»Fang ruhig schon an zu essen«, rief Madame Maigret aus dem Nebenzimmer. »Ich habe keinen Hunger.«
Er auch nicht. Lustlos aß er ein wenig. Dann musste er die sperrigen Stücke hinuntertragen, die teils wunderliche Formen hatten – sogar Gartengeräte waren dabei –, bis das Taxi damit vollgestopft war.
»Gare d’Orsay.«
An der Zugtür gab er seiner Frau einen Kuss,
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