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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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dem 12. Oktober und dem 21. November liegen ungefähr eineinhalb Monate. Zwischen dem 21. November und dem 8. Dezember etwas mehr als vierzehn Tage. Und bis zum 9. Januar wieder fünf Wochen. Verstehen Sie nicht? In diesem Zeitraum hat die Bande das erbeutete Geld ausgegeben. Aber wir haben jetzt Ende Februar. Im Übrigen kann ich nichts versprechen. Wenn der Prozess vor das Schwurgericht kommt, werden andere über ihr Schicksal entscheiden. Übersetzen Sie.«
    »Würden Sie die Daten noch einmal wiederholen?«
    Maigret wiederholte sie und wartete.
    »Sagen Sie ihr jetzt noch dies: Wenn sie auf meine letzten Fragen antwortet, kann sie damit neue Morde verhindern. Man wird ihr das anrechnen.«
    Sie zuckte nicht mit der Wimper, aber ihr Gesicht nahm wieder einen verächtlichen Ausdruck an.
    »Ich will sie nicht fragen, wo sich ihre Freunde in diesem Augenblick befinden. Ich frage sie nicht einmal nach dem Namen des Anführers. Ich will nur wissen, ob sie kein Geld mehr haben und ob für die nächsten Tage ein neuer Raubmord geplant ist.«
    Diese Worte hatten nur zur Folge, dass Marias Augen aufblitzten.
    »Gut. Sie antwortet also nicht. Ich glaube, ich weiß jetzt Bescheid. Bleibt nur zu wissen, ob Victor Poliensky der Mörder war.«
    Sie hörte der Übersetzung aufmerksam zu und wartete, und Maigret irritierte es, dass er nur über den Kanzleiangestellten mit ihr sprechen konnte.
    »Wahrscheinlich hat nur einer das Beil in der Hand gehabt. Und wenn es nicht Victor war, so weiß ich nicht, warum die Bande einen geistig Zurückgebliebenen mitgenommen hat. Schließlich ist es ihm zu verdanken, dass Maria gefasst worden ist und dass auch alle anderen gefasst werden.«
    Wieder wurde übersetzt. Sie schien zu triumphieren. Sie wussten nichts. Sie allein wusste Bescheid. Sie lag in ihrem Bett, ganz entkräftet, mit dem Neugeborenen an der Brust, aber sie hatte geschwiegen und würde weiter schweigen.
    Ein unwillkürlicher Blick zum Fenster verriet, was sie dachte. In dem Augenblick, da man sie in der Rue du Roide-Sicile im Stich gelassen hatte – wahrscheinlich hatte sie das selber verlangt –, hatte man ihr etwas versprechen müssen.
    Sie kannte ihre Männer. Sie hatte Vertrauen zu ihnen. Solange sie frei waren, riskierte sie nichts. Sie würden kommen, früher oder später, und sie hier rausholen, oder sogar aus dem Gefängnisspital.
    Sie war hinreißend. Ihre Nasenflügel bebten. Ihre vollen Lippen waren verächtlich aufgeworfen. Sie gehörte, ebenso wie die Männer, nicht zu der gleichen Rasse wie die Menschen ihrer Umgebung. Sie hatten sich ein für alle Mal entschlossen, als Außenseiter zu leben. Sie waren reißende wilde Tiere, die sich vom Blöken der Schafe nicht rühren ließen.
    In welchen Niederungen, in welcher Atmosphäre des Elends hatten sie sich zusammengeschlossen? Sie hatten alle Hunger gehabt. Solchen Hunger, dass sie nach vollbrachter Tat nur daran dachten zu essen, den ganzen Tag lang zu essen und zu trinken, zu schlafen, Liebe zu machen und wieder zu essen, ohne auf die schäbige Umgebung der Rue du Roi-de-Sicile noch auf ihre abgetragene, zerlumpte Kleidung zu achten.
    Sie mordeten nicht des Geldes wegen. Das Geld war für sie nur ein Mittel, in ihrem Schlupfwinkel in Frieden essen und schlafen zu können, gleichgültig gegenüber dem Rest der Menschheit.
    Sie war nicht einmal eitel. Die Kleider, die man in dem Zimmer gefunden hatte, waren billige Teile, wie sie sie in ihrem Heimatdorf getragen hatte. Sie benutzte weder Puder noch Lippenstift. Sie hatte keine feine Wäsche. So wie sie waren, hätten sie alle in einem anderen Zeitalter oder in anderen Breitengraden ebenso gut nackt im Wald oder im Dschungel leben können.
    »Sagen Sie ihr, dass ich wiederkomme und sie bitte, nachzudenken. Sie soll nicht vergessen, dass sie jetzt ein Kind hat.«
    Bei den letzten Worten senkte er unwillkürlich die Stimme.
    »Wir gehen jetzt«, sagte er zur Schwester. »Ich schicke Ihnen gleich einen zweiten Inspektor und werde mit Doktor Boucard telefonieren. Er behandelt sie doch, oder?«
    »Er ist der Chef der Abteilung.«
    »Wenn sie transportfähig ist, wird sie sehr wahrscheinlich noch heute oder morgen früh ins Gefängnisspital gebracht werden.«
    Trotz allem, was er ihr über ihre Patientin enthüllt hatte, sah sie ihn immer noch vorwurfsvoll an.
    »Auf Wiedersehen, Mademoiselle. Kommen Sie, Monsieur.«
    Auf dem Flur sagte er einige Worte zu Lucas, der von allem nichts wusste. Die Schwester, die sie vom

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