Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
verkehrt?«
»Ich habe ein Jahr in Paris gelebt.«
»Waren Sie mit Ihrem Schiff dort?«
»Wir haben am Pont Marie geankert.«
»Sind Sie vermögend?«
»Ich habe nicht einen Sou.«
»Sagen Sie, wie alt ist Ihre Freundin eigentlich?«
»Achtzehneinhalb.«
Dem Mädchen hing das Haar ins Gesicht, und der enganliegende Pareo ließ die Formen ihres Körpers deutlich sichtbar werden. Sie sah wie eine junge Wilde aus und blickte Maigret und Mr. Pyke wütend an.
»Sie sind nicht verheiratet?«
»Nein.«
»Sind ihre Eltern dagegen?«
»Sie wissen, daß sie mit mir zusammenlebt.«
»Seit wann lebt sie mit Ihnen zusammen?«
»Seit zweieinhalb Jahren.«
»Das heißt, sie war also kaum sechzehn, als sie Ihre Geliebte wurde.«
Das Wort entsetzte weder ihn noch sie.
»Haben ihre Eltern nicht versucht, sie von Ihnen fortzuholen?«
»Sie haben es mehrmals versucht. Aber sie ist immer wiedergekommen.«
»Und so haben sie es schließlich aufgegeben?«
»Sie machen sich lieber gar keine Gedanken mehr darüber.«
»Wovon haben Sie in Paris gelebt?«
»Ich verkaufte hin und wieder ein Bild oder eine Zeichnung. Ich hatte außerdem Freunde.«
»Die Ihnen Geld liehen?«
»Manchmal. Zeitweise habe ich auch in den Markthallen Gemüse geschleppt und gelegentlich Prospekte verteilt.«
»Hatten Sie damals schon den Wunsch, nach Porquerolles zu kommen?«
»Ich wußte gar nicht, daß es diese Insel gab.«
»Wohin wollten Sie fahren?«
»Irgendwohin, wenn es nur sonnig war.«
»Und wohin wollen Sie jetzt?«
»Noch weiter weg.«
»Nach Italien?«
»Oder anderswohin.«
»Haben Sie Marcellin gekannt?«
»Er hat mir geholfen, mein Schiff in Ordnung zu bringen, als es leck geworden war.«
»Waren Sie in der Nacht, in der er starb, in der ›Arche Noah‹?«
»Wir sind dort fast jeden Abend.«
»Was haben Sie an dem Abend gemacht?«
»Wir spielten Schach, Anna und ich.«
»Darf ich wissen, Monsieur van Greef, was der Beruf Ihres Vaters ist?«
»Er ist Richter in Groningen.«
»Wissen Sie nicht, warum Marcellin ermordet worden ist?«
»Ich bin nicht neugierig.«
»Hat er zu Ihnen oft über mich gesprochen?«
»Wenn er es getan hat, habe ich nicht zugehört.«
»Besitzen Sie einen Revolver?«
»Wozu?«
»Haben Sie mir nichts zu sagen?«
»Gar nichts.«
»Und Sie, Mademoiselle?«
»Ich auch nichts.«
Sie wollten schon gehen, da rief er sie noch einmal zurück.
»Noch eine Frage: Haben Sie augenblicklich Geld?«
»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß ich Mrs. Wilcox ein Bild verkauft habe.«
»Sind Sie an Bord ihrer Jacht gewesen?«
»Mehrmals.«
»Zu welchem Zweck?«
»Nun, was macht man schon an Bord einer Jacht?«
»Ich weiß es nicht.«
In leicht verächtlichem Ton sagte van Greef:
»Man trinkt. Wir haben getrunken. Ist das alles?«
Lechat hatte nicht weit gehen müssen, um Emil zu finden, denn die beiden Männer hielten sich an einem schattigen Plätzchen unweit der Bürgermeisterei auf.
Emil sah älter aus, als es seinen fünfundsechzig Jahren entsprochen hätte, und er machte einen äußerst gebrechlichen Eindruck, bewegte sich nur vorsichtig, als bangte er fortgesetzt um sein Leben. Er sprach leise und schonte sichtlich seine Kräfte. Nur hin und wieder war an ihm eine Anwandlung von Energie zu spüren.
»Kommen Sie herein, Monsieur Emil. Wir kennen uns doch schon, nicht wahr?«
Da Justines Sohn nach einem Stuhl schielte, fuhr Maigret fort: »Sie können sich setzen. Haben Sie Marcellin gekannt?«
»Sehr gut.«
»Haben Sie ständig mit ihm verkehrt? Seit wann?«
»Seit wieviel Jahren, das kann ich nicht genau sagen. Aber meine Mutter muß es wissen. Seit Ginette für uns arbeitet.«
Es gab ein kleines Schweigen, ein merkwürdiges Schweigen, als wäre eben eine Patrone in der friedlichen Atmosphäre des Raums geplatzt. Maigret und Mr. Pyke sahen einander an. Was hatte Mr. Pyke gesagt, als sie von Paris abfuhren? Er hatte von Ginette gesprochen. Er hatte sich gewundert – diskret, wie er alles tat –, daß der Kommissar sich nicht dafür interessiert hatte, was aus ihr geworden war.
Aber nun zeigte sich, daß es hier keiner Nachforschungen und Listen bedurfte. Ganz selbstverständlich hatte sie Emil mit seinen ersten Worten erwähnt. Sie, die Maigret einst in ein Sanatorium geschickt hatte.
»Sie sagen, sie arbeitet für Sie? Ich nehme an, das soll heißen, in einem Ihrer Häuser.«
»In dem in Nizza.«
»Einen Augenblick, Monsieur Emil. Vor etwa fünfzehn Jahren bin ich ihr
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