Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange
dummerweise die ganze Sache übereilt angefasst. Noch heute Morgen hatte er sich im Büro des Polizeikommissars lächerlich gemacht.
Die Pfeife schmeckte ihm nicht. Er schlug die Beine übereinander und setzte sich gleich darauf wieder gerade hin. Die Glasscheibe zwischen ihm und dem Taxifahrer war heruntergedreht.
»Fahren Sie durch die Rue de Longchamp. Wenn das Eisenwarengeschäft noch geöffnet hat, halten Sie einen Augenblick.«
Er spielte gewissermaßen Kopf oder Zahl. Es war sein letzter Schritt. Wenn das Geschäft geschlossen war, würde er sich nicht die Mühe machen, noch einmal hinzufahren. Was bewies denn, dass Alfred wirklich in das Haus in Neuilly eingestiegen war?
Schön, er war mit dem Fahrrad vom Quai de Jemmapes weggefahren und hatte in aller Herrgottsfrühe mit seiner Frau telefoniert. Aber niemand wusste, worüber sie miteinander gesprochen hatten.
»Das ist noch offen!«
Das bezog sich auf die Eisenwarenhandlung, die, wie man durch das Schaufenster sehen konnte, auch eine Drogerieabteilung hatte. Ein großer junger Mann in grauem Kittel kam Maigret zwischen Zinkeimern und Besen entgegen.
»Gibt es bei Ihnen Fensterglas?«
»Jawohl, Monsieur.«
»Und Kitt?«
»Selbstverständlich. Haben Sie die Maße?«
»Es ist nicht für mich. Sie kennen doch Monsieur Serre?«
»Den Zahnarzt? Ja, Monsieur.«
»Ist er Kunde bei Ihnen?«
»Er hat bei uns ein laufendes Konto.«
»Haben Sie ihn in den letzten Tagen gesehen?«
»Ich nicht, ich bin erst vorgestern aus dem Urlaub zurückgekommen. Vielleicht war er vorher hier. Das lässt sich aber leicht im Kontobuch feststellen.«
Der Verkäufer stellte keine Fragen, verschwand im Halbdunkel des Ladens und schlug ein dickes Register auf, das auf einem Stehpult lag.
»Er hat letzte Woche Fensterglas gekauft.«
»Können Sie mir den Tag sagen?«
»Freitag.«
Das Gewitter war am Donnerstagabend gewesen. Eugénie hatte recht und die alte Madame Serre auch!
»Er hat auch ein halbes Pfund Kitt gekauft.«
»Ich danke Ihnen.«
Alles hing an einem seidenen Faden, an der mechanischen Geste eines jungen Mannes in grauem Kittel, der jetzt rasch den Laden schließen wollte, aber wie um ganz sicherzugehen, noch weiterblätterte. Dann sagte er:
»Er war diese Woche schon wieder da.«
»Was?«
»Am Mittwoch. Er hat eine Fensterscheibe von derselben Größe, 42 x 65 Zentimeter, gekauft und noch mal ein halbes Pfund Kitt.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Ich kann sogar genau sagen, dass er sehr früh gekommen ist, denn es war der erste Verkauf an diesem Tag.«
»Wann machen Sie auf?«
Das war wichtig, denn Eugénie, die um neun Uhr zur Arbeit kam, hatte behauptet, am Mittwochmorgen sämtliche Fensterscheiben in einwandfreiem Zustand vorgefunden zu haben.
»Wir kommen um neun, aber der Chef geht schon um acht runter und schließt den Laden auf.«
»Danke, mein Lieber! Sie sind ein prima Kerl!«
Der prima Kerl musste wohl lange darüber nachdenken, warum dieser Herr, der beim Hereinkommen so finster dreingeschaut hatte, mit einem Mal solch gute Laune bekundete.
»Ich nehme nicht an, dass die Gefahr besteht, dass die Seiten Ihres Kontobuches vernichtet werden?«
»Warum sollte man das tun?«
»Eben. Trotzdem empfehle ich Ihnen, auf sie aufzupassen. Ich schicke Ihnen morgen früh jemanden vorbei, der die Seiten fotografieren wird.«
Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie dem jungen Mann, der verdutzt las:
Kommissar Maigret
Kriminalpolizei
Paris
»Wohin soll’s jetzt gehen?«, fragte der Taxifahrer.
»Halten Sie einen Augenblick in der Rue de la Ferme. Sie sehen linker Hand ein kleines Bistro …«
Er hatte ein Bier verdient. Beinahe hätte er Torrence und den Inspektor herbeigerufen, damit sie ihm Gesellschaft leisteten, lud aber dann stattdessen nur den Fahrer ein.
»Was nehmen Sie?«
»Für mich bitte einen gespritzten Weißwein.«
Die Straße war von der Sonne ganz in Gold getaucht. Der Abendwind rauschte in den großen Bäumen des Bois de Boulogne.
Da gab es ein wenig weiter ein schwarzes Gitter, ein Rasenviereck, ein stilles, wie ein Kloster eingerichtetes Haus. Irgendwo in diesem Haus gab es eine alte Frau, die einer Äbtissin glich, und einen grandiosen Türken, mit dem Maigret ein Hühnchen zu rupfen hatte.
Das Leben war schön.
5
Maigret erfährt anstelle Janviers die seltsame Meinung von Maria Serre, geborene van Aerts, über ihren Ehemann, und dann ist auch noch die Rede von sich daraus ergebenden
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