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Maigret - 43 - Hier irrt Maigret

Maigret - 43 - Hier irrt Maigret

Titel: Maigret - 43 - Hier irrt Maigret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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gehalten.
    »Und der Vater?«
    »Vom Vater gibt es nur den Brief da.«
    Der Brief war mit Bleistift geschrieben, auf billigem Papier; die Schrift war die eines Mannes, der nicht allzu lange zur Schule gegangen ist.
     
    Meine liebe Louise,
    Hiermit teile ich Dir mit, daß ich mich schon wieder im Krankenhaus befinde und sehr unglücklich bin. Du hast ein gutes Herz und schickst mir sicher ein bißchen Geld, damit ich mir Tabak kaufen kann. Sie behaupten, daß es mir schadet, wenn ich esse, und lassen mich verhungern. Ich schicke diesen Brief in die Bar, wo jemand, der jetzt hier ist, dich angeblich gesehen hat. Bestimmt kennt man dich dort. Lange mache ich bestimmt nicht mehr.
    Dein Vater
     
    In einer Ecke war der Name eines Krankenhauses in Béziers, im Département Hérault, zu lesen. Nirgends ein Datum, aus dem man hätte entnehmen können, wann der Brief geschrieben worden war. Dem vergilbten Papier nach zu schließen mochte es zwei, drei Jahre her sein.
    Hatte Louise Filon noch andere Briefe erhalten? Warum hatte sie nur diesen hier aufbewahrt? Vielleicht, weil ihr Vater kurz darauf gestorben war?
    »Du wirst in Béziers Erkundigungen einholen, Lucas.«
    »In Ordnung, Chef.«
    Maigret fand keine anderen Briefe mehr, nur Fotografien, zum großteil Jahrmarktsaufnahmen; auf einigen war Louise allein, auf anderen in Gesellschaft von Pierrot zu sehen. Auch ein paar Paßfotos, wie man sie in Automaten erhält, waren darunter.
    Der Rest bestand in allerlei Krimskrams, der in Jahrmarktsbuden gewonnen worden war: ein Hund aus Porzellanimitation, ein Aschenbecher, ein Elefant aus gesponnenem Glas, Papierblumen. Im Barbès-Viertel oder am Boulevard de la Chapelle wären solche Kostbarkeiten nichts Besonderes gewesen. Hier jedoch, in einem Appartement in der Rue Carnot, bekam die Kartonschachtel etwas beinahe Tragisches.
    »Ist das alles?«
    Lucas wollte gerade antworten, als das Läuten des Telefons die beiden Männer auffahren ließ. Maigret beeilte sich, den Hörer abzunehmen.
    »Hallo?«
    »Kann ich Monsieur Maigret sprechen?«
    Es war eine Frauenstimme.
    »Am Apparat.«
    »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Kommissar. Ich habe Ihr Büro angerufen, und man sagte mir, Sie seien hier oder würden vorbeikommen. Hier spricht Madame Gouin.«
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Kann ich für einen Augenblick hinunterkommen, um mit Ihnen zu sprechen?«
    »Wäre es nicht einfacher, ich käme zu Ihnen hinauf?«
    Die Stimme klang entschlossen:
    »Ich komme lieber zu Ihnen hinunter. Ich möchte nicht, daß mein Mann Sie in der Wohnung antrifft, wenn er zurückkommt.«
    »Wie Sie wünschen.«
    »Ich komme sofort.«
    Maigret hatte gerade noch Zeit, Lucas zuzuflüstern:
    »Die Frau von Professor Gouin, der einen Stock höher wohnt.«
    Wenige Augenblicke später hörten sie bereits Schritte auf der Treppe; dann kam jemand durch die Wohnungstür, die offengeblieben war, und machte sie hinter sich zu. Jetzt klopfte es an der Tür, die den Salon mit dem Flur verband und die einen Spalt offenstand. Maigret sagte, während er auf die Tür zuging:
    »Treten Sie ein, gnädige Frau.«
    Sie kam der Aufforderung ganz ungezwungen nach, so wie sie es beim Betreten jeder anderen Wohnung getan hätte; ohne sich im Zimmer umzusehen, richtete sie ihren Blick sofort auf den Kommissar.
    »Darf ich vorstellen? Inspektor Lucas. Bitte nehmen Sie Platz.«
    »Ich danke Ihnen.«
    Sie war groß, ziemlich stark, aber nicht korpulent. Gouin war zweiundsechzig, sie aber konnte höchstens fünfundvierzig sein; älter sah sie jedenfalls nicht aus.
    »Ich nehme an, daß Sie meinen Anruf mehr oder weniger erwartet haben«, sagte sie mit einem kaum merklichen Lächeln.
    »Hat Ihnen die Concierge gesagt, daß ich hier bin?«
    Sie zögerte einen Augenblick, ohne den Blick von ihm zu wenden, und ihr Lächeln vertiefte sich.
    »Ja, das stimmt. Sie hat mich vorhin angerufen.«
    »Sie wußten also, daß ich hier war. Wenn Sie trotzdem mein Büro angerufen haben, so nur deshalb, weil Sie den Eindruck erwecken wollten, Sie täten es aus eigenem Antrieb.«
    Sie errötete kaum und verlor nichts von ihrer Sicherheit.
    »Ich hätte es mir denken können, daß Sie es erraten würden. Ich hätte mich auf jeden Fall mit Ihnen in Verbindung gesetzt, das müssen Sie mir glauben. Schon heute morgen, als ich erfuhr, was hier passiert ist, wollte ich mit Ihnen sprechen.«
    »Und warum haben Sie es nicht getan?«
    »Vielleicht, weil ich vermeiden wollte, daß mein Mann in diese Sache

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