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Maigret - 43 - Hier irrt Maigret

Maigret - 43 - Hier irrt Maigret

Titel: Maigret - 43 - Hier irrt Maigret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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frühestens um Mitternacht zurück. Wir haben geplaudert.«
    »Worüber?«
    »Über alles mögliche.«
    »Auch über Lulu?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Aber Sie sind nicht sicher?«
    »Warten Sie … Eigentlich doch … Ich weiß nicht, weshalb ich Ihnen ausweichend geantwortet habe. Ja, wir haben über sie gesprochen, im Zusammenhang mit unseren Eltern.«
    »Leben Ihre Eltern nicht mehr?«
    »Meine Mutter ist tot, aber mein Vater lebt noch, in der Bretagne. Wir haben auch noch Schwestern dort. Wir waren sechs Mädchen und zwei Jungen.«
    »Einige leben wahrscheinlich auch in Paris?«
    »Nur Antoinette und ich. Um halb zwölf, vielleicht etwas früher, ging dann überraschenderweise die Tür auf, und Etienne kam herein. Er nickte uns nur flüchtig zu. Antoinette verabschiedete sich sofort von mir und war im nächsten Augenblick fort.«
    »Ging Ihr Mann dann noch hinunter?«
    »Nein, er war müde. Außerdem machte er sich Sorgen um seinen Patienten, dessen Zustand weniger zufriedenstellend war, als er gehofft hatte.«
    »Ich nehme an, er hat einen Schlüssel zu Lulus Wohnung?«
    »Natürlich.«
    »Und im Laufe des Abends ist also nichts Ungewöhnliches passiert? Sie und Ihre Schwester haben kein Geräusch gehört?«
    »In diesen alten Häusern hört man nichts von einer Wohnung zur anderen, und schon gar nicht von einem Stockwerk zum anderen.«
    Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und war auf einmal nervös.
    »Sie müssen entschuldigen, aber ich muß jetzt hinauf. Etienne kann jeden Augenblick zurückkommen, Haben Sie sonst noch irgendwelche Fragen?«
    »Im Augenblick nicht.«
    »Glauben Sie, daß Sie darauf verzichten können, ihn zu verhören?«
    »Ich kann Ihnen wirklich nichts versprechen; aber ich werde Ihren Mann nur dann belästigen, wenn es wirklich unbedingt notwendig ist.«
    »Und jetzt – wie sieht es jetzt für Sie aus?«
    »Im Augenblick halte ich es nicht für unbedingt nötig.«
    Sie stand auf und streckte ihm die Hand entgegen, wobei sie ihn fest ansah; ein Mann hätte es nicht anders getan.
    »Ich danke Ihnen, Monsieur Maigret.«
    Als sie sich umwandte, fiel ihr Blick auf die Kartonschachtel und die Fotografien, aber Maigret konnte nicht sehen, welchen Ausdruck ihr Gesicht dabei annahm.
    »Ich bin den ganzen Tag zu Hause. Sie können jederzeit kommen, wenn mein Mann nicht da ist. Bitte fassen Sie das nicht als einen Befehl auf, sondern als eine Bitte.«
    »So habe ich es auch verstanden.«
    Sie wiederholte:
    »Ich danke Ihnen.«
    Sie ging hinaus und machte beide Türen hinter sich zu, während der kleine Lucas den Kommissar ansah, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Er hatte solche Angst, etwas Dummes zu sagen, daß er nur stumm in Maigrets Zügen forschte, als könnte er dort lesen, was er dachte.

4
    Seltsam: Während Maigret zum Quai des Orfèvres zurückfuhr, dachte er weder an Professor Gouin noch an dessen Frau. Seine Gedanken kreisten vielmehr fast unbewußt um Louise Filon, deren Jahrmarktfotos er vorm Weggehen in seine Brieftasche gesteckt hatte.
    Obwohl sie in gehobener Stimmung gewesen sein mußte, als sie sich hatte aufnehmen lassen, war ihrem Gesicht nicht die leiseste Spur von Fröhlichkeit anzumerken. Maigret hatte nicht wenige Mädchen ihrer Art gekannt, die alle dem gleichen Milieu entstammten und mehr oder weniger die gleiche Kindheit, das gleiche Leben gehabt hatten. Manche von ihnen hatten diese lärmige Heiterkeit, die plötzlich, ohne jeden Übergang, in Tränen oder Empörung umschlug. Andere wieder, wie Désirée Brault, wurden, vor allem wenn sie in die Jahre kamen, hart und zynisch.
    Den Ausdruck, den Lulu auf den Bildern – und wohl auch im Leben – hatte, vermochte er nicht recht zu deuten. Es war nicht Traurigkeit, eher etwas wie das Schmollen eines kleinen Mädchens, das in einem Winkel des Schulhofs steht und den anderen beim Spielen zusieht.
    Er hätte auch nicht zu sagen vermocht, was an ihr anziehend war; dennoch spürte er diese Anziehungskraft. Wie oft hatte er sich dabei ertappt, daß er diese Mädchen unwillkürlich mit mehr Nachsicht verhörte als andere!
    Sie waren meist jung und hatten sich eine gewisse Frische bewahrt; irgendwie schienen sie kaum den Kinderschuhen entwachsen, obgleich sie schon viel erlebt hatten; gleichzeitig hatten sie schon zuviel Widerwärtiges gesehen, und ihre Augen hatten den Glanz verloren; ihre Körper besaßen den kränklichen Charme des Welkenden, ja schon halb Verwelkten.
    Er stellte sie sich vor, wie sie in ihrem

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