Maigret - 43 - Hier irrt Maigret
schon?« fragte er schließlich.
»Etwa sechs Wochen. Sie wußte es wahrscheinlich nicht. Und wenn, dann bestimmt erst seit kurzer Zeit.«
»Ich nehme an, das steht absolut fest?«
»Absolut. Sie finden die Einzelheiten in meinem Bericht.«
Maigret hängte ein und sagte zu Janvier, der vor dem Schreibtisch stand und wartete:
»Sie war schwanger.«
Janvier, der den Fall nur in großen Zügen kannte, war keineswegs überrascht.
»Was machen wir jetzt mit Lapointe?«
»Ach ja. Wir müssen jemanden hinschicken, der ihn ablöst.«
»Vielleicht Lober, der im Augenblick nichts Besonderes zu tun hat.«
»Auch Lucas müßte abgelöst werden. Vielleicht nützt es gar nichts, aber ich möchte doch, daß jemand in der Wohnung bleibt.«
»Ich würde gern einen Happen essen und dann selber hingehen. Kann man dort ein Schläfchen machen?«
»Ich habe nichts dagegen.«
Maigret warf einen Blick auf die Abendausgabe der Zeitungen. Pierrots Foto war noch nicht darin zu finden. Vermutlich war es zu spät in den Redaktionen eingetroffen. Dafür wurde aber eine genaue Personenbeschreibung gegeben.
Die Polizei fahndet nach dem Geliebten der Filon, einem Barmusikanten namens Pierre Eyraud, genannt Pierrot, der sie gestern abend als letzter besuchte.
Pierre Eyraud, mehrmals vorbestraft, ist von der Bildfläche verschwunden; man nimmt an, daß er sich im Chapelle-Viertel versteckt hält, das er sehr gut kennt …
Maigret zuckte die Achseln, stand auf und wandte sich zögernd zur Tür.
»Soll ich Sie anrufen, falls es etwas Neues gibt?« fragte Janvier.
Er bejahte. Er hatte keinen Grund, im Büro zu bleiben. Er ließ sich von einem der Wagen nach Hause fahren. Madame Maigret öffnete ihm die Wohnungstür, noch ehe er auf den Klingelknopf gedrückt hatte. Daß er zu spät zum Essen kam, erwähnte sie mit keinem Wort. Das Abendbrot stand bereit.
»Du hast dich doch nicht erkältet?«
»Ich glaube nicht.«
»Du solltest deine Schuhe ausziehen.«
»Ich habe keine nassen Füße.«
Es stimmte. Er war den ganzen Tag nicht zu Fuß gegangen. Auf einem Möbel sah er die gleiche Zeitung liegen, die er vorhin im Büro durchgeblättert hatte. Seine Frau war also unterrichtet, stellte aber keine Fragen.
Sie wußte, daß er Lust hatte, noch einmal auszugehen, weil er gegen seine Gewohnheit die Krawatte anbehalten hatte.
Das Essen war beendet, und Maigret ging, von den Blicken seiner Frau gefolgt, zum Büfett und goß sich einen Schnaps ein.
»Du gehst noch fort?«
Er hatte eben noch geschwankt. Eigentlich hatte er einen Anruf von Professor Gouin erwartet, obwohl er keinen rechten Grund zu dieser Annahme hatte. Dachte der Professor überhaupt nicht daran, daß ihn die Polizei verhören würde? Wunderte er sich nicht, daß man sich bis jetzt noch gar nicht um ihn gekümmert hatte, wo doch so viele Leute über seine Beziehung zu Lulu Bescheid wußten?
Er rief in Louise Filons Wohnung an. Janvier war dabei, es sich dort bequem zu machen.
»Nichts Neues?«
»Nichts, Chef. Ich habe meiner Frau Bescheid gesagt, und jetzt habe ich meine Ruhe. Ich werde auf dem Canapé dort schlafen, es ist großartig.«
»Hast du eine Ahnung, ob der Professor zurück ist?«
»Lucas hat ihn um etwa halb acht Uhr hinaufgehen sehen. Ich habe ihn jedenfalls nicht weggehen gehört.«
»Gute Nacht.«
Hatte Gouin erraten, daß seine Frau mit Maigret gesprochen hatte? Hatte sie es fertiggebracht, ihn nichts merken zu lassen? Worüber hatten die beiden beim Abendessen wohl gesprochen? Nach beendeter Mahlzeit zog sich der Professor ganz bestimmt in sein Arbeitszimmer zurück …
Maigret goß sich noch einen Schnaps ein und trank ihn im Stehen aus. Dann ging er zum Kleiderständer und nahm seinen schweren Mantel vom Haken.
»Binde dir einen Schal um. Bleibst du lange fort?«
»Ein, zwei Stunden.«
Er mußte bis zum Boulevard Voltaire gehen, um ein Taxi zu finden, und gab dem Chauffeur die Adresse des Grelot an. Es waren nur wenige Menschen auf den Straßen, außer in der Umgebung der Gare de l’Est und der Gare du Nord, die Maigret stets an die ersten Jahre seiner Polizeilaufbahn erinnerten.
Unter der Hochbahn auf dem Boulevard de la Chapelle waren wie immer nach Einbruch der Dunkelheit die bekannten Gestalten an ihrem gewohnten Platz. Was die Frauen anging, so wußte man ungefähr, was sie hier taten und worauf sie warteten; aber es war schwieriger zu erraten, weshalb die Männer hier in der Kälte und in der Finsternis herumstanden. Sie waren
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