Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen
erklärte er:
»Ich kann es nicht leiden, durch Telefonate gestört zu werden …«
Immerhin standen drei Telefonapparate auf seinem Schreibtisch. Die Wände des großen Raumes waren mit beigefarbenem Leder verkleidet, aus demselben Material waren auch die Sessel gefertigt, die sich gegen den in warmem Braunton gehaltenen Teppichboden abhoben.
Auf dem mächtigen Palisanderholzschreibtisch türmten sich so viele Akten, dass sie genügend Arbeit für ein Dutzend Sekretärinnen abgegeben hätten.
»Nehmen Sie doch bitte Platz … Was darf ich Ihnen anbieten?«
Er ging zu einem niedrigen Schrank, der sich als eine gutausgestattete Bar entpuppte.
»Für einen Aperitif ist es vielleicht noch ein bisschen zu früh, aber ich habe mir sagen lassen, Sie hätten eine besondere Vorliebe für Bier … Ich übrigens auch … Ich habe ein ganz köstliches Bier hier, das ich direkt aus München kommen lasse.«
Er wirkte viel überschwenglicher als am Vorabend, wahrscheinlich, weil er nicht auf Nora Rücksicht nehmen musste.
»Gestern Abend haben Sie mich völlig unvorbereitet angetroffen. Als ich beschlossen habe, bei meinem alten Freund Bob essen zu gehen, was ich oft tue, war ich nicht darauf gefasst, Ihre Bekanntschaft zu machen … Ich hatte vorher zwei oder drei Whiskys zu mir genommen, dann noch ein paar Gläschen Champagner … Nein, betrunken war ich nicht … Das bin ich nie … Trotzdem kann ich mich heute nicht mehr genau an jedes einzelne Detail unseres gestrigen Gesprächs erinnern … Meine Frau wirft mir vor, ich hätte zu viel und zu leidenschaftlich geredet … Auf Ihr Wohl! … Ich hoffe, Sie haben einen anderen Eindruck von mir gewonnen …«
»Sie schienen in François Ricain einen vielversprechenden jungen Mann zu sehen, der das Zeug hat, ein großer Regisseur zu werden …«
»Tja, so ähnlich muss ich mich wohl geäußert haben … Ich bin halt ein Mensch, der Vertrauen in die jungen Leute setzt und mit seiner Begeisterung nicht hinterm Berg hält.«
»Denken Sie denn heute anders darüber?«
»Nein! Überhaupt nicht! Nur würde ich mich etwas differenzierter ausdrücken … Ich finde, Ricain hat einen Hang zu Unordnung und Chaos … Mal ist er allzu sehr von sich überzeugt, dann wieder mangelt es ihm an Selbstvertrauen …«
»Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie sich dahingehend geäußert, dass die beiden eine glückliche Ehe führten.«
Carus hatte es sich in einem der Sessel bequem gemacht und die Beine übereinandergeschlagen. Er hielt sein Glas in der einen, eine Zigarre in der anderen Hand.
»Habe ich das gesagt?«
Ganz plötzlich sprang er auf die Beine, stellte das lästige Glas auf eine Konsole, zog einige Male an seiner Zigarre und begann, unruhig auf und ab zu gehen.
»Hören Sie, Kommissar, es war mir sehr daran gelegen, dass Sie heute Morgen in mein Büro kommen …«
»Diesen Eindruck hatte ich auch …«
»Nora ist eine außergewöhnliche Frau … Obwohl sie fast nie einen Fuß hier ins Büro setzt, würde ich sie trotzdem als meine beste Mitarbeiterin bezeichnen.«
»Sie haben mir von ihren übersinnlichen Wahrnehmungen erzählt …«
Carus fuhr mit der Hand durch die Luft, als wollte er Wörter von einer unsichtbaren Tafel wischen.
»Das sage ich nur, wenn sie dabei ist, weil es sie freut … In Wirklichkeit besitzt sie einen scharfen Verstand und große Menschenkenntnis … Ich bin immer gleich Feuer und Flamme … Ein wenig zu vertrauensselig …«
»Sie dient Ihnen sozusagen als Korrektiv?«
»Gewissermaßen … Sobald meine Scheidung ausgesprochen ist, werde ich sie bestimmt heiraten … Wir führen ja jetzt schon praktisch eine Ehe …«
Die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, brachte ihn sichtlich in Schwierigkeiten, er suchte nach Worten, blickte starr auf die Zigarrenasche.
»Also … Wie soll ich es sagen? … Trotz ihrer Überlegenheit ist Nora doch nicht gegen Eifersucht gefeit … Darum habe ich auch gestern lügen müssen …«
»In Bezug auf die Szene im Schlafzimmer?«
»Ja … Natürlich hat sie sich ganz anders abgespielt, als ich es Ihnen dargestellt habe … Es stimmt schon, dass Sophie sich in das Zimmer geflüchtet hatte, um sich auszuweinen, denn Nora hatte sie hart angefahren. Was sie ihr genau gesagt hat, weiß ich nicht mehr, denn wir hatten alle eine Menge getrunken … Kurz, ich bin ihr nachgegangen, um sie zu trösten …«
»War sie Ihre Geliebte?«
»Wenn Sie auf diesem Ausdruck bestehen … Sie hat sich in meine Arme
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