Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen
gekuschelt, und nach und nach sind wir unvorsichtig geworden, sogar sehr unvorsichtig …«
»Hat Ihre Frau es gesehen?«
»Ein Polizeikommissar hätte ohne weiteres einen Ehebruch feststellen können …«
Ein selbstgefälliges Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Jetzt sagen Sie mal, Monsieur Carus … Ich nehme an, dass jeden Tag hübsche Mädchen in Ihren Büros aufkreuzen. Die meisten sind zu allem bereit, nur um eine kleine Rolle zu ergattern.«
»Das stimmt.«
»Soweit ich weiß, sind Sie nicht abgeneigt, die Situation immer mal wieder auszunützen.«
»Daraus habe ich nie ein Geheimnis gemacht …«
»Auch nicht vor Nora?«
»Ich will es Ihnen erklären … Dass ich ab und zu die Bereitwilligkeit eines hübschen Mädchens ausnütze, macht Nora nicht allzu viel aus, solange daraus kein festes Verhältnis wird. Das gehört eben mit zum Beruf. Alle Männer tun das, nur dass sich nicht jedem dieselben Gelegenheiten bieten … Sie selbst, Herr Kommissar …«
Maigret sah ihn mit durchdringendem Blick an. Er lächelte nicht.
»Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen zu nahegetreten bin … Ja, wo war ich eben? … Ich weiß wohl, dass Sie einige Leute aus unserem Freundeskreis befragt haben und dass Sie das auch weiterhin tun werden … Ich will lieber offen mit Ihnen reden … Sie haben ja gehört, wie Nora von Sophie spricht …
Es täte mir leid, wenn Sie ihre Reden für bare Münze nehmen und sich eine falsche Vorstellung von dem armen Mädchen machen würden …
Sie war keineswegs auf eine Karriere versessen, ganz im Gegenteil, und sie ist auch nicht einfach mit dem erstbesten Mann ins Bett …
Sie war blutjung, fast noch ein Kind, als sie sich in Ricain verliebt hat. Kein Wunder, denn er hat eine magnetische Anziehungskraft … Frauen fühlen sich ja zu zerrissenen, ehrgeizigen, verbitterten und gewalttätigen Männern hingezogen …«
»Würden Sie ihn als einen solchen Mann charakterisieren?«
»Und Sie?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Kurzum, sie hat ihn geheiratet … Sie hat an ihn geglaubt … Sie ist ihm überallhin gefolgt, wie ein gut dressiertes Hündchen, sie hat den Mund gehalten, wenn er es von ihr verlangt hat, sie hat sich möglichst kleingemacht, um ihm nicht lästig zu werden, und sich mit der unsicheren Existenz abgefunden, die er ihr aufgezwungen hat.«
»War sie unglücklich?«
»Sie hat bestimmt darunter gelitten, aber sie hat sich nichts anmerken lassen … Dazu kommt noch, dass er sie zwar als passives Anhängsel brauchte, dass sie ihm aber mitunter auch auf die Nerven ging. In solchen Augenblicken beschuldigte er sie: Sie sei ihm ein Klotz am Bein, behindere seine Karriere und sei außerdem noch strohdumm …«
»Hat sie Ihnen das erzählt?«
»Das war unschwer zu erraten aus den Wortwechseln, die in meiner Gegenwart stattgefunden haben.«
»Waren Sie Sophies Vertrauensperson?«
»Ja, so könnte man es nennen … Gegen meinen Willen, das können Sie mir glauben … Sie hat sich so verloren gefühlt in diesem Milieu, sie fand den Umgang zu hart und hatte niemanden, an den sie sich klammern konnte.«
»Wann sind Sie ihr Liebhaber geworden?«
»Das Wort gefällt mir gar nicht … Ich habe vor allem Mitleid und Zärtlichkeit für sie empfunden … Ich wollte ihr helfen …«
»Bei ihrer Karriere?«
»Sie werden überrascht sein, aber ich hatte sehr wohl daran gedacht, dass sie Karriere machen könnte … Aber Sophie hat sich dagegen gesträubt … Sie war keine aufsehenerregende Schönheit wie Nora, nach der sich jeder auf der Straße umdreht …
Ich habe ein ziemlich gutes Gespür für die Wünsche des Publikums … Sonst würde ich einen anderen Beruf ausüben … Mit ihrem eher durchschnittlichen Gesicht und ihrer zarten Figur entsprach Sophie genau der Vorstellung, die die meisten Leute von einem jungen Mädchen im Kopf haben …
Eltern hätten sie mit ihrer Tochter identifiziert, junge Männer mit ihrer Cousine oder ihrer Freundin … Sie verstehen mich doch?«
»Hatten Sie die Absicht, sie zu lancieren?«
»Sagen wir mal, ich habe mit dem Gedanken gespielt.«
»Haben Sie mit ihr darüber gesprochen?«
»Nur andeutungsweise … Ich habe ihr vorsichtig auf den Zahn gefühlt.«
»Wo haben Sie sich getroffen?«
»Sie stellen mir da eine ziemlich peinliche Frage … Es lässt sich wohl nicht umgehen …«
»Schon deshalb nicht, weil ich die Antwort ohnehin herausfinden würde.«
»Also, gut! Ich habe ein recht hübsches, komfortables Appartement in einem
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