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Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Titel: Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Schultern, denn das hatte er schon im Voraus gewusst. Mitunter fühlte er sich von all diesen zweitrangigen Fragen, von diesen Berichten, Telefonaten, dem ständigen routinemäßigen Kommen und Gehen wie überschwemmt.
    Joseph, der alte Bürodiener, klopfte leise an die Tür und trat sofort ein, ohne die Antwort abzuwarten, wie es seine Angewohnheit war.
    »Ein Herr möchte Sie sprechen …«
    Maigret nahm ihm den Zettel aus der Hand und warf einen kurzen Blick darauf:
    »Führ ihn herein.«
    Der Mann trug einen schwarzen Anzug, was einen seltsamen Kontrast zu seinem gebräunten Teint und dem silbergrauen Haarschopf bildete.
    »Nehmen Sie Platz, Monsieur Le Gal. Mein herzliches Beileid …«
    Der Mann hatte sich im Zug ausweinen können, und er schien sich Mut angetrunken zu haben. Seine Augen blickten trübe, und er sprach mit schwerer Zunge.
    »Wo hat man sie hingebracht? … Ich wollte nicht in ihre Wohnung gehen, um diesen Mann nicht anzutreffen, denn ich fürchte, ich könnte ihn eigenhändig erwürgen …«
    Wie oft schon hatte Maigret solche und ähnliche Reaktionen seitens der Angehörigen erlebt?
    »Der Leichnam befindet sich nicht mehr in der Rue Saint-Charles, sondern im Gerichtsmedizinischen Institut …«
    »Wo ist das?«
    »Gleich neben dem Pont d’Austerlitz am Quai. Ich lasse Sie dort hinbringen, denn es ist unbedingt notwendig, dass Sie Ihre Tochter identifizieren.«
    »Hat sie gelitten?«
    Er ballte die Fäuste, doch fehlte es ihm an der rechten Überzeugung. Man spürte, dass sich seine Tatkraft während der langen Fahrt verflüchtigt hatte, auch sein Zorn war verraucht, so dass er jetzt mit leerem Kopf nur vorformulierte Sätze sprach, an die er selbst nicht mehr glaubte.
    »Ich hoffe, Sie haben ihn festgenommen.«
    »Wir haben keine Beweise gegen den Ehemann.«
    »Aber Kommissar, schon als sie uns das erste Mal von diesem Kerl erzählt hat, habe ich gewusst, dass die Sache ein böses Ende nehmen würde …«
    »Ist er denn einmal nach Concarneau mitgekommen?«
    »Ich habe ihn nie gesehen … Nur ein schlechtes Foto … Sie hat keinen Wert darauf gelegt, ihn uns vorzustellen … Kaum hatte sie ihn kennengelernt, da existierte die Familie nicht mehr für sie …
    Sie hatte nur eines im Sinn: so schnell wie möglich heiraten … Sie hat sogar selber die Einverständniserklärung getippt, ich musste nur noch unterschreiben … Ihre Mutter wollte mich daran hindern … Schließlich habe ich nachgegeben, so dass ich mich jetzt mitverantwortlich fühle für das, was passiert ist …«
    Gab es nicht immer wieder bei jedem neuen Fall diese Mischung aus herzbewegenden Gefühlen und Erbärmlichkeit?
    »Ist sie Ihre einzige Tochter?«
    »Zum Glück haben wir noch einen fünfzehnjährigen Sohn.«
    Im Grunde war Sophie schon seit langem aus ihrem Leben verschwunden.
    »Kann ich sie nach Concarneau überführen lassen?«
    »Was uns betrifft, so sind alle Formalitäten erledigt.«
    ›Formalitäten‹ hatte er gesagt!
    »Hat man sie … Ich meine, gab es eine …«
    »Eine Obduktion, ja, ja. Ich rate Ihnen, sich wegen der Überführung an ein Bestattungsinstitut zu wenden, das das Nötige veranlasst.«
    »Und er?«
    »Ich habe mit ihm darüber gesprochen. Er hat nichts gegen eine Beerdigung in Concarneau einzuwenden.«
    »Ich hoffe nur, dass er nicht die Absicht hat, zu kommen … Dann könnte ich für nichts garantieren … Kaltes Blut zu bewahren, so wie ich, das ist bei uns nicht jedermanns Sache …«
    »Ich weiß. Ich werde dafür sorgen, dass er in Paris bleibt.«
    »Er war es doch, oder?«
    »Ich muss Ihnen sagen, dass ich es nicht weiß.«
    »Wer soll sie denn sonst ermordet haben? Sie sah doch alles nur noch mit seinen Augen. Er hatte sie im wahrsten Sinne des Wortes hypnotisiert. Seit ihrer Hochzeit hat sie uns keine drei Briefe geschrieben, und es war ihr schon zu viel, uns Neujahrswünsche zu schicken …
    Ihre Adresse habe ich aus der Zeitung erfahren … Ich dachte, sie wohnen noch in der kleinen Pension in der Rue Montmartre, wo sie nach ihrer Hochzeit … Was für eine armselige Hochzeit, ohne Eltern, ohne Freunde! … Meinen Sie denn, dass das Glück bringen kann? …«
    Maigret ließ ihn ausreden, nickte mitfühlend, doch dann begleitete er den Besucher, der eine starke Alkoholfahne hatte, an die Tür.
    Wie stand es mit Ricains Vater? Würde er sich nun auch melden? Maigret war sicher, dass er bei ihm vorsprechen würde. Er hatte einen Inspektor nach Orly geschickt, einen anderen ins ›Hôtel

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