Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen
dann wird es hoch hergehen.«
Gleichsam um sich den Mund auszuspülen, ging er ins erstbeste Bistro ein Glas Weißwein trinken. Seit dem frühen Morgen hatte er Lust darauf, schon seit seinem Besuch im Hotel in der Rue Saint-Louis en l’Ile, und auch das Bier, das Carus ihm eingeschenkt hatte, konnte ihn nicht davon abbringen.
»Zum Quai, mein Lieber. Jetzt bin ich aber gespannt, in welchem Zustand wir unseren Francis antreffen werden.«
Er saß nicht im Aquarium, wo sich nur eine alte Frau und ein junger Mann mit gebrochener Nase aufhielten. Als er in sein Büro trat, fiel sein Blick als Erstes auf Janvier. Dieser deutete auf einen wutschnaubenden Ricain.
»Ich habe ihn reinholen müssen, Chef. Er hat einen fürchterlichen Krawall im Flur veranstaltet und wollte, dass der Bürodiener ihn sofort zum Leiter der Kriminalpolizei führt, andernfalls, hat er gedroht, würde er die Presse informieren.«
»Das ist mein gutes Recht! …«, keuchte der junge Mann. »Ich bin es leid, wie ein Idiot oder ein Verbrecher behandelt zu werden … Meine Frau wurde ermordet, und ich werde überwacht, als ob ich auf der Flucht wäre. Ich werde nicht eine Minute lang in Ruhe gelassen und …«
»Möchten Sie einen Anwalt?«
Francis hielt einen kurzen Moment inne und starrte Maigret hasserfüllt an.
»Sie … Sie …«
Vor lauter Wut hatte es ihm die Sprache verschlagen.
»Sie spielen hier den väterlichen Freund … Sie sagen sich wohl andauernd vor, was für ein guter, geduldiger, verständnisvoller Mensch Sie sind … Das habe ich im ersten Moment auch gedacht … Jetzt aber stelle ich fest, dass alles, was über Sie erzählt wird, dummes Gewäsch ist …«
Er redete sich immer mehr in Rage, und die Worte sprudelten immer schneller aus ihm heraus.
»Was zahlen Sie den Journalisten, damit sie Sie beweihräuchern? … Was war ich doch für ein Idiot … Als ich in der Brieftasche auf Ihren Namen gestoßen bin, habe ich mir eingebildet, dass es eine Rettung für mich gibt, dass mich endlich jemand verstehen würde.
Ohne meinen Anruf hätten Sie mich nie und nimmer gefunden … Mit Ihrem Geld hätte ich … Und ich habe noch nicht einmal ein bisschen Kleingeld aus Ihrer Brieftasche genommen, um mir etwas zu essen zu kaufen.
Mit dem Ergebnis, dass Sie mich in ein schäbiges Hotelzimmer einsperren … Und ein Inspektor draußen vor der Tür Wache schiebt.
Dann stecken Sie mich in Ihre Rattenfalle, und Ihre Leute begutachten mich ab und zu mal durch die Glasscheibe … Mindestens zwölf habe ich gezählt, die sich über den komischen Kauz amüsiert haben!
Und das alles nur, weil meine Frau in meiner Abwesenheit ermordet wurde und die Polizei unfähig ist, die Bürger zu schützen … Denn anstatt nach dem wirklich Schuldigen zu fahnden, hält sie sich an den Ehemann, der einen geradezu idealen Tatverdächtigen abgibt, nur weil er das Pech hat, die Nerven zu verlieren …«
Maigret zog gemächlich an seiner Pfeife, blickte Francis ins Gesicht, der nun, außer sich vor Wut, mit geballten Fäusten mitten im Raum stand und wild herumfuchtelte.
»Haben Sie ausgeredet?«
Er sprach mit ruhiger Stimme, ohne jeden Anflug von Ungeduld oder Ironie.
»Wollen Sie immer noch einen Anwalt anrufen?«
»Ich kann mich auch allein verteidigen … Irgendwann müssen Sie ja Ihren Irrtum einsehen und mich freilassen!«
»Sie sind frei …«
»Sie meinen …«
Schlagartig fiel seine Erregung von ihm ab. Ungläubig und mit hängenden Armen starrte er den Kommissar an.
»Sie sind immer frei gewesen, und das wissen Sie auch. Letzte Nacht habe ich Ihnen nur deshalb eine Unterkunft verschafft, weil Sie kein Geld hatten und, wie ich vermutet habe, nicht in der Rue Saint-Charles übernachten wollten.«
Maigret zog seine Brieftasche hervor, ebendie, die Francis ihm auf der Plattform des Busses entwendet hatte, und entnahm ihr zwei Zehnfrancscheine.
»Das reicht, um eine Kleinigkeit zu essen und ins Grenelle-Viertel zurückzufahren. Von Ihren Freunden leiht Ihnen sicher einer etwas für die dringendsten Ausgaben. Ich möchte Ihnen auch mitteilen, dass ich Ihren Schwiegereltern telegraphiert habe und dass Ihr Schwiegervater heute Abend in Paris eintrifft. Ich weiß nicht, ob er mit Ihnen in Verbindung treten wird. Ich habe nicht selbst mit ihm telefoniert, aber er beabsichtigt offenbar, den Leichnam seiner Tochter in die Bretagne überführen zu lassen.«
Ricain sagte keinen Ton mehr davon, dass er gehen wolle. Er gab sich alle Mühe, den
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