Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
Anschein von Gelassenheit zu geben, der jungen Frau nachzugehen, die inzwischen der gewundenen Linie des Meerufers folgte.
»Bestimmt wieder so eine Ehe ohne Trauschein«, hörte man eine der drei Frauen sagen, die häkelnd an einem Tisch saßen.
»Sie könnten ihre schmutzige Wäsche auch anderswo waschen! Es ist ein schlechtes Beispiel für die Kinder!«
Die beiden Silhouetten trafen unten am Wasser zusammen. Man hörte nichts mehr, aber ihre Bewegungen ließen nichtsdestoweniger auf die Fortsetzung ihres Streits schließen.
Der Mann flehte und drohte, doch die Frau blieb unnachgiebig. Einmal packte er sie am Handgelenk, und es sah fast so aus, als wollten sie sich schlagen.
Aber nein! Er wandte sich plötzlich von ihr ab und ging mit großen Schritten auf die nächste Straße zu, wo er sich in ein kleines graues Auto setzte und davonfuhr.
»Garçon! Noch ein Halbes!«
Maigret hatte gerade entdeckt, daß die junge Frau ihre Handtasche auf dem Tisch vergessen hatte. Sie war aus imitiertem Krokodilleder, ganz neu und zum Bersten vollgepackt.
Ein Schatten glitt über den Boden. Maigret hob den Kopf und sah die Besitzerin der Handtasche die Terrasse heraufkommen.
Es war ein kleiner Schock. Seine Nasenflügel bebten.
Gewiß, er konnte sich täuschen! Er war sich nicht sicher, aber sein Gefühl sagte ihm, daß er recht hatte. Er hätte schwören mögen, daß er das Original des Bildes ohne Kopf vor sich hatte. Unauffällig zog er das Foto aus seiner Tasche. Die Frau saß bereits wieder.
»Garçon! Wo bleibt meine Limonade?«
»Ich glaubte … Monsieur hat gesagt …«
»Ich habe eine Limonade bei Ihnen bestellt!«
Ja, das war dieser etwas feiste Hals, dieser üppige und doch feste Busen, der so viel Sinnlichkeit ausstrahlte.
Und dieselbe Art sich zu kleiden, dieselbe Vorliebe für glänzende Seide und auffallende Farben.
Maigret ließ das Foto so fallen, daß die junge Frau es einfach bemerken mußte.
Und das tat sie auch. Sie schaute den Kommissar an und machte dabei ein Gesicht, als krame sie in ihrem Gedächtnis. Aber auch wenn sie verwirrt war, sie ließ es sich jedenfalls nicht anmerken.
Fünf, zehn Minuten vergingen. In der Ferne hörte man das Brummen eines Motors, das immer lauter wurde. Es war das graue Auto, das zu der Terrasse zurückkam, anhielt und mit laufendem Motor stehenblieb, als könnte sich sein Fahrer nicht entschließen, endgültig abzufahren.
»Gaston!«
Sie war aufgestanden und winkte ihrem Freund. Sie nahm ihre Handtasche und saß einen Augenblick später in dem Wagen.
Die drei Frauen am Nebentisch blickten ihr mißbilligend nach. Der junge Mann mit dem Fotoapparat drehte sich nach ihr um. Aber der graue Wagen verschwand bereits mit lautem Motorenbrummen.
»Garçon! Wo kann man hier einen Wagen mieten?«
»Ich glaube nicht, daß Sie in Yport einen finden werden. Es gibt zwar jemand, der gelegentlich Leute nach Fécamp oder Etretat fährt, aber ich habe heute morgen zufällig gesehen, daß Engländer mit diesem Wagen weggefahren sind.«
Der Kommissar trommelte mit seinen dicken Fingern nervös auf den Tisch.
»Bringen Sie mir eine Straßenkarte! Und vermitteln Sie mir bitte ein Telefongespräch mit dem Polizeikommissariat in Fécamp … Haben Sie diese Leute schon mal gesehen?«
»Das Paar, das sich stritt? Diese Woche fast täglich. Gestern haben sie hier gegessen. Ich glaube, sie sind aus Le Havre.«
Am Strand war nicht mehr viel los. Es versprach ein warmer Sommerabend zu werden.
Ein schwarzes Schiff glitt fast unmerklich am Horizont entlang, tauchte wie eine Scherenschnittfigur in die untergehende Sonnenscheibe und kam am anderen Ende wieder zum Vorschein.
4.
Unter dem Zeichen des Zorns
Ich gebe zu«, sagte der Polizeikommissar von Fécamp, während er einen Blaustift anspitzte, »daß ich mir keine Illusionen mehr mache. Diese Seemannsgeschichten werden in den seltensten Fällen aufgeklärt. Was soll ich Ihnen sagen? Versuchen Sie nur mal, den Grund für eine ganz gewöhnliche Schlägerei, wie sie jeden Tag im Hafen vorkommt, herauszufinden. Meine Männer kommen hin und sehen, wie die aufeinander einschlagen. Und sobald die Kampfhähne die Uniformen entdecken, tun sie sich zusammen und greifen an. Verhören Sie sie mal! Sie lügen alle! Sie widersprechen sich! Sie verdrehen alles so gekonnt, daß man schließlich aufgibt.«
Alle vier Anwesenden rauchten, und dichter Tabakqualm füllte das Büro. Es war Abend. Der Kommissar von der Bereitschaftspolizei in Le
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