Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
haben. Ein Mann und eine Frau …«
»Sind sie mit einem grauen Auto gekommen?«
»Ja. Sind das die, die Sie suchen?«
Zehn Minuten später war Maigret dort. Außer dem Besucherzimmer, das eine schmale Theke in zwei Teile trennte, waren alle Räume leer. Der Sekretär saß an seinem Schreibtisch und schrieb. Auf einer Bank saß ein Mann. Er hatte die Ellbogen auf die Knie gestemmt und das Kinn in die Hände gestützt.
Eine Frau klapperte mit ihren hochhackigen Schuhen durch den Raum.
Als der Kommissar eintrat, ging sie sofort auf ihn zu. Gleichzeitig erhob sich der Mann mit einem Seufzer der Erleichterung und stieß zwischen den Zähnen hervor:
»Das ist nicht zu früh!«
Es war wirklich das Paar aus Yport, und sie lagen sich jetzt fast noch mehr in den Haaren als während der Szene am Strand, deren Zeuge Maigret gewesen war.
»Bitte kommen Sie nach nebenan.«
Maigret führte sie in das Büro des Kommissars, setzte sich in dessen Stuhl und stopfte seine Pfeife. Während der ganzen Zeit ließ er seine Besucher nicht aus den Augen.
»Sie können sich setzen!«
»Danke«, sagte die Frau, die eindeutig nervöser als ihr Begleiter war. »Es wird übrigens nicht lange dauern.«
Eine starke Lampe schien ihr ins Gesicht. Maigret musterte sie. Er brauchte nicht lange, um sein Urteil zu fällen. Und hatte ihm das Foto, auf dem nur die Brust zu sehen war, nicht schon alles gesagt?
Allgemein hätte man sie als eine hübsche junge Frau bezeichnet. Eine junge Frau mit einer appetitlichen Haut, gesunden Zähnen, einem aufreizenden Lächeln und einem stets leuchtenden Blick.
Genauer betrachtet aber war sie einfach ein hübsches Weibsbild, eine verwöhnte Schmeichlerin, die jederzeit einen Skandal heraufbeschwören oder in ein lautes, ordinäres Lachen ausbrechen konnte.
Auf ihrem rosa Seidenkleid prangte eine Goldbrosche von der Größe eines Hundertsoustücks.
»Als erstes möchte ich Ihnen sagen …«
»Pardon!« unterbrach Maigret sie. »Folgen Sie meiner Bitte und setzen Sie sich. Ich frage und Sie antworten.«
Sie runzelte verärgert die Stirn.
»Na hören Sie! Sie vergessen, daß ich freiwillig gekommen bin, weil ich …«
Ihr Freund zog ein schiefes Gesicht, denn ihr Benehmen ärgerte ihn. Die beiden paßten prima zusammen. Er war genau der Mann, den man gewöhnlich in Begleitung solcher Damen antrifft.
Er hatte nicht gerade ein Galgengesicht, und er war, wenn auch geschmacklos, so doch korrekt gekleidet. Dicke Ringe zierten seine Finger und in seiner Krawatte steckte eine Perle. Trotzdem wirkte seine ganze Erscheinung beunruhigend. Vielleicht, weil man spürte, daß er ein Außenseiter der Gesellschaft war.
Er war der Mann, den man zu jeder Tageszeit in den Cafés und Brasserien sieht, der mit Mädchen Champagner trinkt und in drittklassigen Hotels wohnt.
»Zuerst Sie! Ihr Name, Adresse, Beruf?«
Er wollte aufstehen.
»Bleiben Sie sitzen!«
»Ich will Ihnen erklären …«
»Von wegen! Ihr Name?«
»Gaston Buzier. Zur Zeit befasse ich mich mit dem Verkauf und der Vermietung von Villen. Meistens wohne ich in Le Havre im Hotel Agneau d’Argent.«
»Sind Sie im Immobiliengeschäft tätig?«
»Nein. Aber …«
»Arbeiten Sie für eine Agentur?«
»Das heißt …«
»Das genügt. Sie haben, kurz gesagt, keinen festen Beruf. Was haben Sie früher getan?«
»Ich war Vertreter einer Fahrradfirma. Und ich habe Nähmaschinen aufs Land verkauft.«
»Wieviel Vorstrafen?«
»Antworte nicht, Gaston!« fiel die Frau ein. »Das ist wirklich ein starkes Stück! Da kommen wir her, um …«
»Sei still! Zwei Vorstrafen. Eine mit Bewährung wegen eines ungedeckten Schecks. Bei der anderen zwei Monate, weil ich dem Besitzer die Anzahlung, die ich auf eine Villa bekommen hatte, nicht überwiesen habe. Sie sehen, es waren kleine Sünden.«
Jedenfalls spürte man, daß er den Umgang mit der Polizei gewöhnt war. Er blieb gelassen, und eine Spur von Frechheit lag in seinem Blick.
»Nun zu Ihnen«, sagte Maigret und wandte sich an die Frau.
»Adèle Noirhomme, geboren in Belleville.«
»Sind Sie als Dirne registriert?«
»Vor fünf Jahren kam ich in Straßburg in die Akten, weil eine Frau, deren Mann ich bezirzst hatte, wütend auf mich war. Aber seither …«
»… haben Sie sich der Polizeikontrolle entzogen! Wunderbar! Wollen Sie mir bitte sagen, in welcher Eigenschaft Sie sich auf der ›Océan‹ eingeschifft haben?«
»Ich muß Ihnen zuerst etwas erklären«, sprach der Mann dazwischen. »Es ist so:
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